17 Mai

Romantischer Republikanismus

Von Philipp Hölzing (Berlin)


»Gut für die Poesie, schlecht für die Politik.«[1] So lautet ein geläufiges Urteil über die Romantik, die als Entstehungsherd des modernen Irrationalismus gilt und vom Nationalsozialismus bis zu den heutigen Querdenkern für Allerlei verantwortlich sein soll. Dagegen wird hier die These verfochten, dass wir am Beispiel Friedrich Schlegels in der Frühromantik eine progressive politische Philosophie antreffen, die eine Radikalisierung des politischen Denkens der Aufklärung betreibt. In Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, mit dem philosophischen Denken seiner Zeit und insbesondere mit Immanuel Kant radikalisiert Schlegel dessen kosmopolitischen Republikanismus.

Laut Schlegel »ist eben das romantisch, was uns einen sentimentalen Stoff in einer phantastischen Form darstellt«.[2] Der Romantikbegriff wird von ihm hier als ästhetische bzw. literarische Kategorie eingeführt. Er erschöpft sich für Schlegel jedoch keineswegs darin. Die Poesie ist für ihn zugleich »eine republikanische Rede; eine Rede, die ihr eigenes Gesetz und ihr eigener Zweck ist, wo alle Teile freie Bürger sind und mitstimmen dürfen«.[3] In der romantischen Poesie ist somit für Schlegel das Politische inbegriffen, eine bestimmte freiheitlich-egalitäre Ordnung des Politischen, eine republikanische Ordnung, die am Ende auf eine Weltrepublik hinausläuft, wie wir sehen werden. Die romantische Poesie ist, so Schlegels berühmte Formulierung, »progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht nur, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und der Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen.«[4] Mit dieser Programmatik schließt die Frühromantik nicht zuletzt an Schillers Überlegungen zur ästhetischen Erziehung der Bürger zu Freiheit und Republik an.

Dieses Ineinandergreifen von Poesie, Philosophie und Politik in der romantischen Universalpoesie, das auch in Schlegels Feststellung zum Vorschein kommt, »die französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre, und Goethes Meister« seien die »größten Tendenzen des Zeitalters«,[5] wird nun von Schlegel mit der kantianischen Geschichtsphilosophie verknüpft. Nach Kant lenkt bekanntlich ein »natürlicher Antagonism« sozusagen hinter dem Rücken der Subjekte die Menschheitsgeschichte auf eine weltbürgerliche republikanische Friedensordnung hin. Schlegel wendet gegen diese geschichtsphilosophische Herleitung des republikanischen Friedens aus dem »natürlichen Antagonism« ein, dass »die Gesetze der politischen Geschichte und die Prinzipien der politischen Bildung […] die einzigen Data« sind, »aus denen sich erweisen läßt, daß der ewige Friede keine leere Idee sei«.[6] Anstatt auf einen natürlichen Mechanismus zu vertrauen, kommt es laut Schlegel auf die Geschichte und die Bildung der Menschen in ihr zur kosmopolitischen Republik an – und diese Bildungsaufgabe kommt der Kunst, der progressiven Universalpoesie zu, die die Menschen so zum »poetischen Staat« bildet.

In dieser Umstellung von einer rationalistisch-mechanistischen Geschichtsphilosophie auf eine humanistisch-perfektionistische, die auch die paidagogische – durchaus im antiken Sinne verstandene – und ästhetische Dimension politischer Ordnungen einbezieht, liegt aus meiner Sicht der tiefere Grund der Radikalisierung Kants durch Schlegel. Die politische Geschichte und die politische Bildung der Menschen wird dadurch ein radikal offenes, kontingentes Projekt, das auch Rückschritte kennt und nicht nur einen stetigen Fortschritt, wie die Geschichtsphilosophie der Aufklärung. So weist Schlegel etwa in seiner Auseinandersetzung mit Condorcets Fortschrittsphilosophie auf die „Rückfälle und Stillstände“, besonders aber den „großen totalen Rückfall der gesamten Bildung“ im Vergleich mit der moralischen und politischen Kultur der Griechen und Römer hin.[7] Er hält jedoch zugleich am Republikanismus der Aufklärung fest. Nur gibt es für ihn nun keinen natürlichen Mechanismus, der die Republik gewissermaßen naturnotwendig hervorbringt – und schon bei Kant war ja die in die Geschichte hineingelesene Teleologie mehr als Ansporn zum Tätigwerden denn als historisches Faktum gedacht. Der Republikanismus ist für Schlegel eine menschliche Schöpfung, das Leben als Freie und Gleiche in einer Republik letztlich ein ästhetisches Projekt.

Diese geschichtsphilosophische Dynamisierung und Radikalisierung des Republikbegriffs finden wir gleich zu Beginn von Schlegels »Versuch über den Republikanismus« von 1796, wenn er zwischen einem Minimum, Medium und Maximum der republikanischen Freiheit unterscheidet. Er erklärt dort, dass die bürgerliche Freiheit der Republik eine »Idee« sei, »welche nur durch eine ins Unendliche fortschreitende Annäherung wirklich gemacht werden kann«.[8] Das Minimum dieser Idee umfasse das in Kants Rechtsbegriff gemeinte Zusammenstimmen der Freiheit eines Jeden mit der gleichen Freiheit aller anderen unter einem zwangsbefugten Gesetz. Das Medium sei der kantische Autonomiebegriff und die Idee, nur solchen Gesetzen zu gehorchen, denen man auch selbst zugestimmt hat. Politisch äußere sich dies in einer nach Mehrheitsprinzip entscheidenden repräsentativen Volksversammlung. Das »unerreichbare« Maximum politischer Freiheit und Gleichheit – und hierin besteht nun die Radikalisierung Schlegels – liegt für ihn darin, dass moralisches und politisches Handeln deckungsgleich würden, alle Zwangsgesetze aufgehoben und alle Menschen von sich aus mit allen anderen so im Einklang handeln würden, dass ihre Freiheit zusammenstimmen könnte. Diese These vom »Absterben des Staates« hat später in linken politischen Bewegungen als faktisches Ziel erhebliche Prominenz erlangt. Bei Schlegel bleibt sie eine »unerreichbare« Idee, die aber dennoch als republikanisches Ideal der vollkommenen Herrschaftsfreiheit praktische Gültigkeit behalte.

In diesem »politischen Imperativ« des unerreichbaren Maximums kommt Schlegels die Romantik prägende These von der Sehnsucht des Menschen nach dem Unendlichen politisch zum Ausdruck. Mit deutlichen Anklängen an Rousseau erklärt er: »Die Voraussetzung, daß der Wille nicht aller einzelnen Staatsbürger mit dem allgemeinen Willen stets übereinstimmen werde, ist der einzige Grund der politischen Herrschaft und Abhängigkeit. So allgemein sie aber auch gelten mag, so ist ihr Gegenteil durchaus denkbar.«[9] Wenn dies aber für eine einzelne Republik als »unerreichbares Maximum« denkbar ist, dann ist für Schlegel auch eine kosmopolitische Republik auf dieser demokratischen, herrschaftsfreien Grundlage denkbar. »Also nicht ein jeder [denkbare P.H.] Staat enthält das Verhältnis eines Oberen zu einem Unteren, sondern nur der durch jenes faktische Datum empirisch bedingte. Es läßt sich allerdings ein Völkerstaat ohne dies Verhältnis denken, und ohne daß die verschiedenen Staaten in einem einzigen zusammenschmelzen müßten: eine nicht zu einer besonderen Absicht bestimmte, sondern nach einem unbestimmten Ziel strebende (nicht hypothetisch, sondern thetisch zweckmäßige) Gesellschaft im Verhältnis der Freiheit der Einzelnen und der Gleichheit Aller, unter einer Mehrheit oder Masse von politisch selbständigen Völkern. Die Idee einer Weltrepublik hat praktische Gültigkeit und charakteristische Wichtigkeit.«[10] Es ist dieser Gedankengang der unendlichen Annäherung an ein unerreichbares republikanisches Maximum einer herrschaftsfreien Weltrepublik, auf den die These der Radikalisierung von Kants kosmopolitischem Republikanismus durch den romantischen Republikanismus Schlegels abzielt.

Während Kant hier noch zurückhaltend war und die Demokratie sogar als Despotismus bezeichnete in seiner Bestimmung des Republikbegriffs, heißt es bei Schlegel ohne wenn und aber: »Der Republikanismus ist also notwendig demokratisch.«[11] Zudem verteidigt Schlegel gegen Kant das Recht auf »Insurrektion«, wobei er zwei rechtmäßige Gründe für diese nennt. Erstens könne es in einer republikanischen Verfassung ein Recht auf Insurrektion geben, durch das verhindert werde, dass die Verfassungswirklichkeit zusehends in Richtung einer »Annullierung« des in der Verfassung vorgeschriebenen Republikanismus tendiere. Sein Beispiel ist ein Staatsnotstand, indem die Exekutive diktatorische Kompetenzen auf Zeit übertragen bekomme, sie aber nach dem Notstand nicht mehr aufgebe. Zweitens sei eine Insurrektion gegen den absoluten Despotismus rechtmäßig, denn dieser sei gar kein Staat, sondern ein »Antistaat«.[12]

Der revolutionäre, radikaldemokratische Charakter von Schlegels romantischem Republikanismus verdankt sich sicherlich dem Einfluss der deutschen Jakobiner und der Freundschaft zu Georg Forster. Die Ehefrau von Schlegels Bruder, Caroline Schlegel, hatte mit Forster 1793 in Mainz an der ersten Gründung einer Republik auf deutschem Boden teilgenommen, die freilich schon bald scheiterte.[13] Es ist diese Strömung des deutschen politischen Denkens nach 1789, die Schlegel aufgreift und romantisiert. Für die Radikalisierungsthese spricht auch, dass Schlegel gegen Kant – der Nichtselbständigen und Frauen den aktiven Bürgerstatus verweigerte – einwendet, »Armut und vermutliche Bestechbarkeit, Weiblichkeit und vermutliche Schwäche sind wohl keine rechtmäßigen Gründe, um vom Stimmrecht ganz auszuschließen«.[14] Diese Einwände gegen Kant zeigen mehr als deutlich die radikale Modernität der Frühromantik und des romantischen Republikanismus. Die pauschale Etikettierung der Romantik als reaktionäre, irrationalistische Bewegung übersieht vollkommen, wie modern in einem ganz konkreten politischen Sinne die Frühromantik nicht zuletzt in Fragen des Geschlechterverhältnisses und der Emanzipation der Frauen war.

Zum Ende möchte ich daher nochmal auf die eingangs erwähnten und bis heute weit verbreiteten Etikettierungen der Romantik als reaktionärer Entstehungsherd des Irrationalismus eingehen. Dies gilt nur, wenn man vom Ende her, von der Spätromantik aus, die ganze Bewegung beurteilt. Wenn man dagegen verschiedene Phasen der Romantik unterscheidet, dann zeigt sich, dass die Frühromantik und der romantische Republikanismus Schlegels kein gegenaufklärerisches Projekt waren, sondern auf der Linie von Kants kritischer Philosophie liegen, also eine Weiterführung der Aufklärung darstellen. Schlegel radikalisiert Kants kosmopolitischen Republikanismus. Er hebt gegen Kants immer noch nicht ganz über sich selbst aufgeklärten Rationalismus die paidagogischen und ästhetischen Dimensionen des Politischen hervor, ohne dadurch gleich dem Irrationalismus das Wort zu reden oder alle aufklärerischen Ideale von Freiheit und Gleichheit über Bord zu werfen. Vielmehr ist es ja so, dass Schlegel nun auch den besitzlosen Schichten und den Frauen das Recht auf Bildung und politische Teilhabe zugesteht. Was die frühe von der späten Romantik unterscheidet, ist daher in politischer Hinsicht schlicht die Verabschiedung der aufklärerischen, republikanischen Ideale zugunsten reaktionärer Herrschaftsmodelle. Während die Frühromantik in der progressiven Universalpoesie die Offenheit und Kontingenz der Geschichte als ein unendliches Werden hin zum republikanischen Maximum begreift, schließt die spätere Romantik diesen Möglichkeitshorizont zunehmend mit der Rückwendung zu mittelalterlichen Herrschaftsmodellen.


Philipp Hölzing, Dr., ist Lektor im Wissenschaftslektorat des Suhrkamp Verlags. Er beschäftigt sich mit der Geschichte des politischen Denkens, insbesondere der des Republikanismus, und mit Leben und Werk Machiavellis. Veröffentlichungen: Republikanismus und Kosmopolitismus. Eine ideengeschichtliche Studie, Frankfurt/M. 2011, Republikanismus. Geschichte und Theorie, Stuttgart 2014, Ein Laboratorium der Moderne. Politisches Denken in Deutschland 1789-1820, Wiesbaden 2015.


[1] Rüdiger Safranski, Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007, S. 13.

[2] Friedrich Schlegel (1800), Gespräch über die Poesie, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe (KFSA) Bd. 2, herausgegeben von Hans Eichner, München 1967, S. 333.

[3] Friedrich Schlegel (1797), Lyceums-Fragmente, in: KFSA Bd. 2, S. 155.

[4] Friedrich Schlegel (1798), Athenäums-Fragmente, in: KFSA Bd. 2, S. 182.

[5] Ebd. S. 198.

[6] Schlegel, Friedrich (1796), »Versuch über den Republikanismus veranlaßt durch die Kantische Schrift zum ewigen Frieden«, in: KFSA Bd. 7, herausgegeben von Ernst Behler 1966, München, S. 23.

[7] Vgl. Schlegel, Friedrich (1975), »Über Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’ésprit humain«, in: KFSA Bd. 7, S. 7.

[8] Schlegel, »Versuch über den Republikanismus«, S. 12.

[9] Ebd., S. 13.

[10] Ebd.

[11] Ebd. S. 17.

[12] Ebd. S. 25.

[13] Vgl. Friedrich Schlegel (1797), »Georg Forster. Fragment einer Charakteristik«, in: KFSA Bd. 2, S. 78-99.

[14] Schlegel, »Versuch über den Republikanismus«, S. 25.

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