28 Jun

Über Bücher schreiben. Utopie und Alltag einer Online-Zeitschrift

von der Redaktion der Zeitschrift für philosophische Literatur


In diesem Herbst wird die Zeitschrift für philosophische Literatur (www.zfphl.de) ihren fünften Geburtstag feiern. Wenn unsere Rezensent_innen und Gutachter_innen weiterhin mit so großem Enthusiasmus und Fleiß zu Werke gehen wie bisher, werden wir dann etwa 150 Rezensionen neuer Bücher veröffentlicht haben. Diese erfreulich große Bereitschaft, Rezensionen zu schreiben, und die steigenden Zahlen unser Leser_innen lassen begründet vermuten, dass die Zeitschrift eine Lücke füllt. Nicht, weil es keine andere Möglichkeit gäbe, Rezensionen zu veröffentlichen, aber weil der Charakter so langer Rezensionen, wie die Zeitschrift für philosophische Literatur sie publiziert, ein anderer ist, als wenn ein Buch auf wenigen Zeilen zusammengefasst werden muss und bestenfalls in einer knappen Bemerkung kritisch beurteilt werden kann. Zudem erscheinen diese Rezensionen online und frei verfügbar (Open Access) – sie sind insofern für ein größeres Publikum sichtbar und helfen, so hoffen wir, Philosoph_innen (vorwiegend deutschsprachige) rascher über neue Bücher zu informieren.

Als wir 2012 begannen, die Gründung der Zeitschrift zu diskutieren, waren es diese Punkte, die uns besonders am Herzen lagen. Das lange Format der Rezensionen fördert und erfordert es, das besprochene Buch argumentativ zu rekonstruieren statt bloß eine raffende Nacherzählung zu liefern, es in die jeweilige Debatte einzuordnen sowie kritisch zu diskutieren, welche Aspekte überzeugen – und welche nicht. Unter der Hand wird so aus der Rezension ein Artikel in nuce, der die Argumente des Buches für weitere Überlegungen anschlussfähig macht bzw. für Kritik offenlegt. Davon profitieren nicht zuletzt die Autor_innen der rezensierten Bücher, deren Ideen schneller Eingang in die philosophische Debatte finden können und dank der freien Verfügbarkeit der Rezensionen einem größeren Publikum dargeboten werden.

Während wir also glauben, mit unser Einschätzung recht behalten zu haben, ein attraktives Format in einer Lücke der (deutschsprachigen) philosophischen Publikationslandschaft schließen zu können, haben wir einige Schwierigkeiten des Unternehmens weniger klar vorhergesehen. Zwar haben wir schon 2012 diskutiert, welche Herausforderung es bedeuten würde, die Zeitschrift längerfristig herauszugeben, im Nachhinein aber haben wir die diese Anforderung sicherlich unterschätzt. Wir möchten in diesem Beitrag drei dieser Schwierigkeiten näher beschreiben, weil sie aus unseren Augen auf strukturelle Probleme hindeuten, denen ein Projekt wie die Zeitschrift für philosophische Literatur in der gegenwärtigen deutschen Forschungs- und Förderungslandschaft begegnet. Unsere Hoffnung ist es, mit dieser Beschreibung der Hindernisse (und zumindest in einigen Fällen: mit unseren provisorischen Lösungen) anderen Projekten Hilfestellung zu geben und zugleich dazu aufzurufen, mit uns andere  Ideen zu erörtern, die wir eventuell übersehen haben.

  • Finanzierung. Derzeit ist die Zeitschrift für philosophische Literatur komplett privat finanziert. Anders gesagt: Sie hat keine Finanzierung. Das erscheint zunächst wenig problematisch, denn für eine Online-Zeitschrift reicht es, eine Web-Domain zu mieten und die relevante Software darauf laufen zu lassen. Die Kosten dafür sind gering, zumal mit dem von uns genutzten Open Journal Systems (https://pkp.sfu.ca/ojs/) eine kostenlose Open-Source-Software zur Verfügung steht. So jedenfalls dachten wir. Was wir damit sicherlich unterschätzt haben, war sowohl der Aufwand, den die Pflege der Technik erfordert, als auch so banale Fragen, wie die Kosten für Redaktionstreffen bezahlt werden können, je weiter sich die verschiedenen Redaktionsmitglieder räumlich voneinander entfernen, oder wie Werbematerialen finanziert werden.

Zu diesen trivialen Posten kommt die nötige Arbeitszeit hinzu. Rezensionen müssen vergeben und angemahnt, das Begutachtungsverfahren muss organisiert und vor allem müssen die angenommenen Texte lektoriert, korrigiert und gelayoutet werden. Selbst bei möglichst schlanken Arbeitsprozessen ist der Aufwand – neben der eigenen Lehre und Forschung – nicht unerheblich. Zumal die Lebenssituation der Redaktionsmitglieder sich immer wieder ändert; die prekäre Stellensituation des wissenschaftlichen Nachwuchses (vgl. DGPhil/GAP: 1)  ist ein entscheidendes Hindernis für solche und ähnliche Projekt. Denn einerseits müsste man, ehe man sich in ein solches Wagnis stürzt, eigentlich sorgfältig abwägen, wie viel der eigenen Arbeitszeit man dafür zur Verfügung stellen kann, wenn man nebenher im ewigen Bewerbungsstrudel ohnehin gut damit ausgelastet ist, seine eigenen Forschungsprojekte voranzutreiben. Andererseits verhindern befristete Stellen vielfach die Möglichkeit, überzeugende Anträge auf Fördergelder zu stellen, in denen zumeist nach langfristigen Plänen für die Verdauerung des beantragten Projekts gefragt wird – die ohne sichere eigene Perspektive kaum glaubhaft zu präsentieren sind.

Natürlich stehen Alternativen zur Verfügung; die einfachste wäre sicherlich, Werbung auf der Webseite zu zeigen. Allerdings ändert sich damit der Charakter der Zeitschrift, sie verwandelte sich plötzlich in ein profitorientiertes Unternehmen, das eine andere (oder genauer gesagt: überhaupt eine definierte) Rechtsform der Betreiber_innen nötig machen würde. Ganz zu schweigen davon, dass Werbung im Netz das Tracken von Leser_innen voraussetzt, und sei es, um Click-Zahlen abrechnen zu können: womit wir in ein Verhältnis zu den Leser_innen gezwungen würden, das wir schlicht unangemessen finden.

Die Redaktion der Zeitschrift für philosophische Literatur ist daher derzeit im doppelten Sinne frei: frei von einer abgesicherten Finanzierung, aber auch frei von den Zwängen, die damit einhergehen könnten. Das ist, Marx-Leser_innen wissen es, weder ein frei gewähltes noch ein befreites Verhältnis.

  • Die Vielfalt der Philosophie. Eine zweite Schwierigkeit ist inhaltlicher Art. Unser Ziel ist es, mit der Zeitschrift für philosophische Literatur ein Forum für Rezensionen zu bieten, das der Vielfalt der philosophischen Bücher gerecht wird. Davon sind wir derzeit weit entfernt. Die Mehrzahl der bisher veröffentlichten Rezensionen kommt aus dem Feld der praktischen Philosophie mit Schlagseite zur Sozialphilosophie und Politischen Philosophie. Eine Erklärung dafür ist leicht: alle vier Gründungsmitgliedern der Redaktion arbeiten in diesem Bereich. Zwar haben wir von Anfang an versucht, über unsere eigenen Forschungsfelder hinaus Bücher für Rezensionen vorzuschlagen und Rezensent_innen anzusprechen, aber naturgemäß ist das deutlich aufwändiger und seltener von Erfolg gekrönt. Deshalb haben wir im letzten Jahr begonnen, die Redaktion zu vergrößern; wir hoffen, so mehr und andere Bereich der Philosophie abdecken zu können.

Jenseits dieses vielleicht relativ einfach zu lösenden Problems stellt die Vielfalt der Philosophie uns jedoch noch in einer anderen Hinsicht vor Schwierigkeiten: Sie konfrontiert uns nämlich immer wieder mit Vorstellungen von Philosophie und Debattenbeiträgen, die diametral dem eigenen Verständnis entgegengesetzt sind. Das führt immer wieder zu kontroversen Diskussionen innerhalb der Redaktion, die schließlich am Ende gemeinsam verantworten muss, was in der Zeitschrift veröffentlicht wird, und die – das dürfte kaum überraschen – keineswegs ein einheitliches Bild davon hat, wie Philosophie aussehen sollte oder welche Themen relevant sind. Die Vielfalt der Philosophie stellt zudem auf ganz basale Art Schwierigkeiten für die Begutachtung und das Lektorieren von Beiträgen dar, mit deren Stil und Überzeugungen man kaum oder gar nicht übereinstimmt. Wie schafft man es, eine faire und ausgewogene Beurteilung zu organisieren und zugleich die Extrempositionen »alles ist erlaubt« und »allein unsere Position zählt« zu vermeiden? Wie nachdrücklich verlangt man die Überarbeitung von Passagen, die uns in hohem Maße rechtfertigungsbedürftig erscheinen, aber vielleicht aus einer anderen philosophischen Position heraus bloße Banalitäten wiedergeben?

Unsere derzeitige Lösung kann man vielleicht wohlwollend als lose auf zwei Prinzipien gegründet ansehen: Erstens lassen wir unseren Rezensent_innen möglichst freie Hand, solange die Rekonstruktion des Buches und seine Kritik nachvollziehbar bleiben. Zweitens weisen wir immer wieder darauf hin, dass sie mit Leser_innen rechnen sollten, die nicht bereits ihre Position teilen oder deren Jargon kennen. Das Urteil, inwiefern diese Prinzipien zu einer gelungenen editorischen Praxis beitragen, müssen wir unseren Leser_innen überlassen.

  • Gender Trouble. Eine dritte Schwierigkeit, mit der wir konstant zu kämpfen haben, ist der Philosophie als Disziplin immanent: Nach wie vor gibt es mehr Philosophen als Philosophinnen, und so sind nicht nur die rezensierten Bücher in der Mehrzahl von Autoren verfassen, sondern werden auch von Rezensenten besprochen. Einerseits spiegelt dies die tatsächliche Gender-Verteilung der Philosophie wider, andererseits ist das kein guter Grund, nichts daran ändern zu wollen. Wir haben daher nicht nur bei der Verstärkung der Redaktion darauf geachtet, Gender-Parität herzustellen, wir versuchen derzeit auch, eine Ausgabe zu konzipieren, in der ausschließlich von Frauen geschriebene Bücher rezensiert werden sollen. So möchten wir zumindest einen kleinen Beitrag dazu leisten, den gender citation gap zu schließen. Denn nach wie vor gibt es nicht nur weniger Frauen in der Philosophie als Männer, sie werden zudem unproportional weniger wahrgenommen und zitiert (vgl. Wilhelm, Conklin und Hassoun 2017).

Wenn wir insofern mit einem Aufruf schließen, unser Zeitschrift weiterzuempfehlen, uns Vorschläge für zu rezensierende Bücher zu schicken und uns am besten gleich Rezensionen anzubieten, dann mit dem Zusatz, dass wir uns besonders darüber freuen, wenn viele dieser Vorschläge Bücher von Philosoph_innen betreffen.


Literatur

DGPhil/GAP 2018: Nachhaltige Nachwuchsförderung Vorschläge zu einer Strukturreform an Instituten für Philosophie. http://www.gap-im-netz.de/images/gap/Nachhaltige%20Nachwuchsfoerderung.pdf (letzter Abruf: 10.5.2018).

Wilhelm, Isaac, Sherri Lynn Conklin und Nicole Hassoun (2017): New data on the representation of women in philosophy journals: 2004–2015. In: Philosophical Studies 175 (6), 1441–1464.

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