31 Jul

Naturalismus, Ontologie und Geschichte bei Marx. Eine Metareplik

Von Kurt Bayertz (Münster)


In seiner Replik auf meinen in diesem Blog erschienenen Marx-Beitrag, sowie auf mein Buch Interpretieren, um zu verändern[1], hat Urs Lindner drei zentrale Thesen meiner Überlegungen hervorgehoben und als „überaus fragwürdig“ charakterisiert. Bevor ich auf seine Kritik an diesen Thesen zu sprechen komme, möchte ich zwei allgemeine Bemerkungen voranschicken.

Zunächst fällt auf, dass Lindner ein zentrales Charakteristikum der Theorie von Marx völlig unberührt lässt: ihren Praxisbezug. Dieser Bezug ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis dieser Theorie und liefert daher einen entscheidenden Interpretationsleitfaden bis in ihre (scheinbar) abstraktesten metaphysischen Annahmen hinein. Eine adäquate Metareplik auf die von Lindner erhobenen Einwände müsste daher von diesem Praxisbezug ausgehen, den ich bereits im Titel meines Buches angedeutet habe. Aus Platzgründen ist das leider nicht möglich, so dass ich mich an dieser Stelle damit begnügen muß, auf einige der einschlägigen Stellen meines Buches zu verweisen: [53ff; 228ff; 245f]. Alle drei von Lindner hervorgehobenen Thesen stehen mit dem von Marx angestrebten Praxisbezug seiner Theorie in Zusammenhang.

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03 Jul

Marx’ naturalistischer Materialismus. Eine Replik auf Kurt Bayertz

von Urs Lindner (Erfurt)


In denjenigen Teilen der Sozial- und Kulturwissenschaften, die sich als kritisch verstehen, hat in den letzten Jahren ein erstaunlicher Wandel stattgefunden. Wo Poststrukturalismus und Sozialkonstruktivismus über mehrere Jahrzehnte dominierten, wollen viele Autor*innen nun auf einmal ‚materialistisch’ sein. Das Versprechen, dieses Bedürfnis zu befriedigen, liefern eine Reihe ‚neuer’ Materialismen und Realismen: sei es der ‚agentielle Realismus’ von Karen Barad, der eigentlich ein Phänomenalismus im Gefolge von Berkeley und Mach ist; sei es der deuleuzianische Assemblagen-Realismus von Manuel DeLanda; seien es die feministischen Vitalismen von Jane Bennett und Elizabeth Grosz; sei es Quentin Meillassouxs rationalistisch-materialistische Kritik an Kants ‚Korrelationismus’ oder Graham Harmans Dingontologie etc.pp. Was alle diese ‚neuen’ Ansätze gemeinsam haben, ist zweierlei: 1) Sie übergehen – mit Ausnahme von DeLanda[1] – das humangeschichtlich Soziale als emergente Realitätsebene. 2) Sie wissen nicht so recht, was sie mit Marx uns seinem Materialismus anfangen sollen, der 1845 in den Thesen über Feuerbach ja auch als ‚neuer’ Materialismus angetreten war.

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