23 Jan

Erinnerungspolitik und Demokratie

Prof. Dr. Peter Niesen im Gespräch mit Dr. Sarah Rebecca Strömel

Welche Bedeutung haben Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik für unsere heutige Demokratie? Welche Lehren können wir für unsere Demokratie aus der Vergangenheit ziehen? Wie können wir mit den gerade wieder besonders sichtbar werdenden antisemitischen Tendenzen umgehen und kommt uns als PolitikwissenschaftlerInnen und PhilosophInnen dabei eine besondere Verantwortung zu?

Diese und weitere Fragen stellt Dr. Sarah Rebecca Strömel im Interview mit Prof. Dr. Peter Niesen, Inhaber der Professur für Politische Theorie an der Universität Hamburg, Sprecher der Sektion „Politische Theorie und Ideengeschichte“ der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) und Autor zahlreicher einschlägiger Publikationen.

Das Gespräch findet im Rahmen der Interviewreihe „Säulen der Demokratie“ statt, die vom Lehrstuhl für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte der Uni Regensburg in Kooperation mit dem Philosophieblog „praefaktisch“ produziert und ausgestrahlt wird. Folgende Fragen kommen zur Sprache:


(00:56) 1. Herr Prof. Niesen, warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, dass wir uns mit Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik befassen, also den Blick in die Vergangenheit richten, wenn wir zeitgenössische Herausforderungen der Demokratie verstehen wollen?
(02:33) 2. Ist es aus der spezifisch deutschen Perspektive Ihrer Einschätzung nach besonders wichtig, sich mit Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik zu befassen? Wenn ja, welche Lehren können wir – auch vor dem Hintergrund der aktuell ansteigenden populistischen Tendenzen – aus der Vergangenheit ziehen?
(07:20) 3. In einer Ihrer jüngsten Publikationen sprechen Sie – in Anlehnung an Adorno und Habermas – von einem Imperativ der Nicht-Regression in Demokratien. Können Sie uns genauer erklären, was Sie damit meinen?
(15:07) 4. Vor dem Hintergrund Ihrer gerade ausgeführten Überlegungen: Für wie gefährlich halten Sie die antisemitischen Tendenzen, die im Zuge des Nah-Ost-Konflikts jetzt auch in Deutschland wieder besonders sichtbar werden für unsere Demokratie und wie ist aus Ihrer Sicht damit umzugehen?
(22:25) 5. Kommt der Wissenschaft, vielleicht insbesondere der Politikwissenschaft, im Umgang mit antisemitischen Tendenzen eine ganz besondere Verantwortung zu? Wie können wir diese gegebenenfalls wahrnehmen?
(26:22) 6. Bleiben wir noch kurz bei der Rolle und dem Selbstverständnis der Politikwissenschaft, genauer der Politischen Philosophie und Theorie. Auch in unserem Fachbereich wird ja immer wieder und im Moment vielleicht ganz besonders die Frage nach der Relevanz der Vergangenheit für die Gegenwart gestellt: Für wie wichtig halten Sie ideengeschichtliche Texte mit Blick auf zeitgenössische Demokratietheoriedebatten? Ist das „Schnee von gestern“ oder finden wir in der Ideengeschichte fruchtbare Ausgangspunkte und wichtige Ergänzungen, um unsere heutigen Fragen umfassend verstehen zu können?
(29:30) 7. Richten wir den Blick abschließend explizit auf die Gegenwart: Ist unsere Demokratie momentan besonders gefährdet? Wenn ja, welche Krisenphänomene halten Sie derzeit für besonders virulent, besonders gefährlich?

14 Dez

Müssen in einer Demokratie immer alle mit allen reden? Über die Herausforderungen des Populismus an Universitäten


von André Brodocz (Universität Erfurt)


Dies ist der dritte und damit letzte Beitrag unserer kleinen Reihe rund um das große Thema „Herausforderungen der Demokratie(theorie)“, die wir in Kooperation mit dem Theorieblog veröffentlichen. Den Auftakt machte ein Beitrag von Tine Stein über “Resiliente Demokratie und die Polykrise der Gegenwart”, es folgte ein Beitrag von Oliver Hidalgo zum Thema „Ein neues Unbehagen in der Demokratietheorie?“. 


Universitäten sind in Demokratien nicht nur Orte für akademische, sondern ebenso für politische Debatten und Diskurse. Mit der wachsenden Verbreitung populistischer Meinungen und dem zunehmenden Erfolg populistischer Parteien wird über den Umgang mit diesen zunehmend gestritten. Was soll man tun, wenn man verschiedene Parteien an seine Universität zu einer Podiumsdiskussion einladen will, damit diese ihre Positionen zu einem politischen Thema vorstellen? Soll man auch einen Populisten beteiligen?[1] Und was soll man tun, wenn an der eigenen Universität eine populistische Hochschulgruppe zu einer politischen Veranstaltung einlädt? Soll man das tolerieren? Darüber müssen wir nicht nur sprechen, sondern wir müssen vor allem genauer hinschauen.

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18 Nov

Endlich kontroverse Ideen!?

Von Norbert Paulo (Graz/Salzburg)

Im Rahmen einer interessanten BBC-Radiodokumentation über politische Meinungsvielfalt an Universitäten hat Jeff McMahan, Professor für Moralphilosophie in Oxford, seine Initiative für eine neue Fachzeitschrift erläutert, die 2019 gegründet werden soll: The Journal of Controversial Ideas. Die grundsätzliche Idee dafür hat Peter Singer, der die Zeitschrift mit McMahan und Francesca Minerva (Gent) herausgeben wird, bereits 2017 in einem Interview angedeutet: In Zeiten extremer gesellschaftlicher Polarisierung könnten Autor_innen heute leichter als früher davon abgehalten werden, Ideen zu veröffentlichen, die in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen unpopulär sind oder außerhalb dessen liegen, was (mehrheits-)gesellschaftlich akzeptabel erscheint.

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30 Okt

Bildung gegen Populismus?

von Krassimir Stojanov (Eichstätt)


Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus, überhaupt die Ablehnung von Andersheit und Pluralität, vor allem Ergebnis einer mangelhaften Bildung seien.  In der Tat, geht Bildung nicht mit der Entstehung von Weltoffenheit und mit der Entwicklung eines differenzierten Denkens zusammen, das sich groben Vereinfachungen widersetzt,  welche für (rechts-) populistische Ideologien charakteristisch sind? Und führt Bildung nicht zu einer Aufgeklärtheit und Souveränität des  Einzelnen, die  ihn gegen diffuse Ängste oder gar blinden Hass immun machen sollte – also gegen Gefühle, die betroffene Menschen anfällig für diese Ideologien  machen?

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07 Aug

Eine Dosis Populismus gefällig?

von Thomas Plieseis (Salzburg)


Im Jahr 2000 ging ein Aufschrei durch die demokratischen Länder Europas und der westlichen Welt. Die Europäische Union sah sich zum ersten Mal mit einer Regierung in der eigenen Reihe konfrontiert, die zum Teil aus einer populistischen Partei bestand. Die Rede ist von der Regierungsbeteiligung der damals EU-kritischen FPÖ in Österreich. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) formte gemeinsam mit Jörg Haider von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) eine schwarzblaue Koalition. Die in den Augen vieler als klar populistisch-einzustufende FPÖ machte im Wahlkampf vor allem mit einem EU-kritischen und ausländerfeindlichen Wahlkampf auf sich aufmerksam und erreichte bei der Nationalratswahl 1999 Platz 2 mit rund 27 Prozent der Stimmen. Sie verwies damit sogar knapp die Altpartei ÖVP auf den dritten Rang. Als diese zwei Parteien eine Regierung bildeten und die erstplatzierte Sozialdemokratische Partei Österreich (SPÖ) in die Opposition schickten, ertönten sowohl national als auch international kritische Stimmen, die darin eine Gefahr für unsere westlichen, demokratischen Werte sahen. Der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil (ÖVP) musste am Ende sichtlich widerwillig die neue Regierung angeloben, doch nicht ohne zuvor von Schüssel und Haider ein klares Bekenntnis zur Demokratie und der Europäischen Union abzuverlangen. International kündigten 14 der damals 15 Mitgliedstaaten an, Österreich im Falle einer Regierungsbeteiligung der FPÖ zukünftig diplomatisch zu isolieren. Am Ende gab es eine typisch österreichische Lösung, um alle zu befriedigen: Die ÖVP und die FPÖ bildeten zwar eine Regierung, aber Jörg Haider wurde nicht Teil davon und wurde stattdessen Landeshauptmann von Kärnten.

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22 Mai

Pluralismus, die Wiege des Populismus? Plädoyer für einen institutionellen Kosmopolitismus

von Volker Kaul (Rom)


Ich möchte hier folgende Fragen untersuchen: Könnte es sein, dass der von Liberalen letztens so sehr gepreiste Pluralismus die Fundamente für den allseits gefürchteten Populismus gelegt hat? Könnte es sein, dass gerade der Wertepluralismus, d.h. die Zuschreibung moralischen Gehalts an unterschiedliche Weltsichten und Lebensformen, verantwortlich für das Entstehen des Populismus ist?

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10 Mai

Populismus, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

von Norbert Paulo (Salzburg und Graz)


Inzwischen ist es eine allzu vertraute Taktik populistischer Politiker_innen zu suggerieren, sie wären im alleinigen Besitz der Wahrheit. Wer sich erlaubt, diese Wahrheit anzuzweifeln, wird nicht etwa argumentativ überzeugt, sondern abgewertet oder gar zum Feind erklärt. So sind Politiker_innen oder Geheimdienste, die anderer Meinung sind, Teil der „Elite“ oder des „Systems“ und damit per se unglaubwürdig. „Sogenannten“ Richter_innen oder Expert_innen wird unterstellt, nicht unabhängig nach Rechtsstaatlichkeit oder Erkenntnis zu streben, sondern eine eigene politische Agenda zu verfolgen. Wenn Medien die Vorschläge von Populist_innen kritisieren, werden sie schnell zu „Feinden des Volkes“ erklärt. Mit einer solchen Taktik immunisieren sich Populist_innen gegen Kritik: Wenn „sogenannte“ Richter_inner den US-Präsidenten daran hindern, das Land gegen die Einreise von Muslim_innen zu schützen, dann sind sie auch verantwortlich für den nächsten (islamistischen) terroristischen Anschlag. Schließlich wäre der Anschlag nicht passiert, hätten die Gerichte den Präsidenten nicht behindert. So jedenfalls wird Donald Trump es darstellen – und damit die Gerichte weiter schwächen, wie er es mit der restlichen Justiz auch tut.

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10 Apr

Philosophieren in postfaktischen Zeiten

von Patrick Zoll SJ (München)


Was kann man als Philosoph in postfaktischen Zeiten tun? Nun, am besten wohl das, was man immer tut: analysieren, klassifizieren, kritisieren und konstruktiv etwas zur Lösung der identifizierten Probleme beitragen.

Kommen wir zur ersten Aufgabe. Der Begriff „postfaktisch“ bzw. „postfaktische Politik“ ist in aller Munde. Nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil das Adjektiv und seine englische Entsprechung „post-truth“ sowohl von den Herausgebern der Oxford Dictionaries als auch von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2016 gewählt wurden. Aber was bedeutet dieser Begriff eigentlich genau?

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