18 Jun

Was, wenn wir nicht wissen, dass wir einen Android lieben?

Von Michael Kühler (Münster/Twente)


Auch wenn die Entwicklung von KI und Robotik unbestreitbar große Fortschritte macht, so sind wir doch noch weit davon entfernt, „künstliche Menschen“ oder Android zu erschaffen, die wir nicht (mehr) unmittelbar als solche identifizieren können. „Replikanten“ im Film Blade Runner, „Synths“ in der Serie Humans („Hubots“ im schwedischen Original Real Humans) oder die organischen Androiden der Zylonen in der Wiederauflage der Serie Battlestar Galactica bleiben – zumindest bis auf Weiteres – Science-Fiction.

Weiterlesen
11 Jun

Wir wissen genug

Von Anne Burkard (Göttingen)


Die Komplexität der Klimawissenschaften und der ethischen Fragen, die durch die Klimakrise aufgeworfen werden, können zu lähmenden Zweifeln führen. Benötigen wir nicht größere Sicherheit in den wissenschaftlichen Ergebnissen und bessere normative Orientierung, bevor wir sagen können, ob und wie wir uns im Kampf gegen den Klimawandel engagieren sollen? Doch philosophische Reflexion kann uns zeigen: Wir wissen genug. In diesem Beitrag skizziere ich, wie dies möglich ist, obwohl die Philosophie häufig gerade dadurch charakterisiert wird, dass sie Zweifel erzeugt. Ich zeige auf, wie insbesondere ethische Reflexion zu dem Ergebnis führen kann, dass wir genug wissen, um im Hinblick auf die Klimakrise bestimmte grundlegende Zweifel begründet zurückzuweisen – und um zu erkennen, dass wir verpflichtet sind, jetzt zu handeln.

Weiterlesen
02 Jun

Das Recht auf Nichtwissen in der Medizin

Von Joachim Boldt (Freiburg) & Franziska Krause (Heidelberg)


Habe ich ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Altersdemenz? Oder für eine andere genetisch bedingte Erkrankung? Wer will, kann sein Genom bei kommerziellen Online-Anbietern auf solche Erkrankungen hin analysieren und auswerten lassen. Das kostet nicht viel und es geht schnell. Was macht man aber dann, wenn das Ergebnis tatsächlich ein erhöhtes Risiko angibt? Was, wenn sich der Krankheit nicht vorbeugen lässt und sie nicht zu therapieren ist?

Weiterlesen
20 Mai

‚Nicht wissen‘ und ‚Nicht-Wissen‘. Begriffsanalytische und sprachpragmatische Betrachtungen

von Wolfgang Lenzen (Osnabrück)


Im Alltag passiert es allzu häufig, dass wir etwas, das andere von uns wissen wollen, leider nicht wissen:

  • „Wo sind die Wagenschlüssel?“ – „Ich weiß es nicht!“
  • „Wer war der Mann gerade, der uns zugelächelt hat?“ – „Ich weiß es nicht!“
  • „Wann beginnen in Niedersachsen 2020 die Sommerferien?“ – „Ich weiß es nicht!“
  • „Wie heißt der gegenwärtige Ministerpräsident von Polen?“ – „Ich weiß es nicht!“ …

In gewisser Weise gilt für jeden von uns, dass unser Nicht-Wissen unser Wissen quantitativ weit übertrifft. Im Folgenden soll dieses Nicht-Wissen begriffslogisch näher analysiert werden. Dazu ist es unabdingbar, zunächst den positiven Begriff des Wissens zu präzisieren, und dieses setzt wiederum voraus, auch das Verhältnis von Wissen und Glauben zu klären.

Weiterlesen
05 Mai

„Chaos in Ordnung bringen“. Zum Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit im Recht

Von Ino Augsberg (Kiel)


I. Einleitung

Rudolf Wiethölter, einer der wichtigsten deutschen Rechtstheoretiker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, charakterisiert sein Verständnis des Rechts gerne mit einer Formel, die er selbst von Adorno übernommen haben will. Diese Quellenangabe ist allerdings eher Reverenz als Referenz. Denn sie unterschlägt, dass der entscheidende Witz jener Formel erst durch Wiethölter geschaffen wird. Erst seine Streichung eines bei Adorno noch gegebenen bestimmten Artikels subvertiert die Ordnung des originalen Satzes und bringt dessen ursprünglich eindeutige Aussage in die Schwebe einer gegenwendigen Doppelbedeutung. Aus Adornos etwas bemüht antibürgerlicher Formulierung, „Aufgabe von Kunst heute“ sei es, „Chaos in die Ordnung zu bringen“ (Adorno 1994, 298), wird bei Wiethölter die knappere, auch imperativisch zu lesende Formel: „Chaos in Ordnung bringen“ (Wiethölter 1994, 107; dazu näher Zabel 2019), die sich in beide Richtungen zugleich lesen lässt, weil sie sowohl Ordnen des Chaos wie Chaotisierung der Ordnung heißen kann.

Weiterlesen
21 Apr

Liebe, Verliebtheit und Nichtwissen: Ortegas Kritik an Stendhals Kristallisationstheorie

von Michael Kühler (Münster/Twente)


Liebe, Verliebtheit und Nichtwissen: Ortegas Kritik an Stendhals Kristallisationstheorie

Wie gut kennen wir die Personen, die wir lieben? Einerseits wäre es sicher seltsam, wenn wir über sie nichts oder wenig wüssten. Praktisch alle Vorstellungen von Liebe umfassen auf die ein oder andere Weise die Idee, die geliebte Person möglichst gut zu kennen. Folgt man beispielsweise der Idee, dass es Gründe für die Liebe gibt,[1] so erlaubt erst eine (hinreichende) Kenntnis der geliebten Person, diese als angemessenes Objekt der Liebe ansehen und die Liebe dadurch rational begründen zu können – oder zumindest rational verstehbar zu machen.[2] Die Vorstellung wiederum, die Liebe sei eine spezielle Sorge um die geliebte Person verbunden mit dem Wunsch, ihr Wohlergehen zu befördern,[3] bedarf einer (hinreichenden) Kenntnis der geliebten Person, um zumindest zu wissen, wie man ihr Wohlergehen tatsächlich fördern kann. Wird Liebe schließlich so verstanden, dass sie in einem gemeinsamen Teilen des Lebens[4] oder gar in einer Vereinigung der Liebenden hin zu einer geteilten Wir-Identität[5] besteht, so lässt sich auch dies kaum ohne ein hinreichenden Wissen der Liebenden umeinander denken. So verstanden scheint für ein Nichtwissen in erfolgreicher Liebe kein Platz zu bleiben.

Weiterlesen
31 Mrz

Epistemische Verletzlichkeit und gemachte Unwissenheit

von Christina Schües (Lübeck)


Verletzlichkeit

Das Gefühl, in die Unwissenheit verbannt zu werden und seinen Sinnen nicht mehr trauen zu können, macht Menschen verletzlich. Verletzlichkeit ist ein Begriff, der sich auf das Leben, den Körper, die Sprache, Gefühle, aber auch die Wissensordnung bezieht. Die Verletzung gehört in den Bereich einer negativen Sozialphilosophie, die davon ausgeht, was normativ nicht sein soll. Verletzlichkeit bedeutet, dass jemand noch nicht verletzt ist, dass aber durchaus eine Empfindlichkeit, eine Sensibilität, eine Beziehungskomponente, ein Verhältnis existieren, welche Verletzungen – die nicht sein sollen – möglich machen. Der Begriff der Verletzlichkeit richtet sich auf die existentielle körperliche, sprachliche, soziale oder rechtliche Unsicherheit oder Zerbrechlichkeit der einzelnen Person und deren Beziehungen. Menschen sind anderen ausgesetzt und mehr oder weniger verletzlich entsprechend innerer und äußerer Faktoren. Diese Faktoren richten sich nicht nur auf Bedingungen der körperlichen Konstitution oder der Umwelt, sie beziehen sich auch auf die Wissens- und Rechtsordnung einer Gesellschaft, nämlich dann, wenn gefragt wird, wer gehört wird und wer überhaupt ein Unrecht als Unrecht im politisch-ethischen Sinn formulieren kann.

Weiterlesen
12 Mrz

Gerechte Verteilung oder verantwortbares Handeln? Nichtwissen als Herausforderung der Zukunftsethik

von Johannes Müller-Salo (Hannover)


Was muss ich wissen, um gerecht verteilen zu können?

Schon wieder steht ein Kindergeburtstag vor der Tür. Sieben Jahre ist Sophie nun alt. Neue Schul- und alte Kindergartenfreunde wuseln durch den Garten. Die Eltern des Geburtstagskinds sind vollauf mit ihren Aufsichtspflichten beschäftigt. Sie selbst wollten eigentlich gerade nur Ihr Kind vorbeibringen, als Sophies Vater Sie bittet, ob Sie nicht noch kurz im Haus – „er steht schon auf dem Esstisch!“ – den Geburtstagskuchen anschneiden könnten. Eine Kleinigkeit. „Wie viele Stücke sollen es denn werden?“ Diese Frage müssen Sie noch loswerden, dann können Sie ans Schneiden gehen.

Weiterlesen
20 Feb

Problematisches Nichtwissen: „White Ignorance“

von Kristina Lepold (Frankfurt)


In ihrer Einleitung zum Themenschwerpunkt notieren die HerausgeberInnen Andrea Klonschinski und Tim Kraft zum Umgang mit Nichtwissen Folgendes: „Manches wollen und sollen wir nicht wissen, manches wollen wir wissen, sollten es aber nicht, anderes wollen wir gar nicht wissen, sollten es aber usw.“ Die Art von Nichtwissen, um die es im vorliegenden Beitrag gehen soll, white ignorance, fällt in die letzte Kategorie. White ignorance stellt eine Art von Nichtwissen dar, das als motiviert (man will hier etwas nicht wissen) und als moralisch problematisch (man sollte hier jedoch ganz unbedingt etwas wissen) beschrieben werden kann.

Weiterlesen
04 Feb

Post-Privacy oder Datenschutz als neuer Megatrend? Sinn und Wert der Privatheit

von Anne Siegetsleitner (Innsbruck)


1. Post-Privacy oder Privatheit als neuer Trend?

Vielen gelten heute Begriffe wie „privat“, „Privatsphäre“ oder „Privatheit“ als abgenutzt. Manche bedauern dies, andere halten die damit verbundenen Ideen ohnehin für altmodisch und „sowas von Eighties“, wie Julia Schramm, eine Vertreterin der Post-Privacy-Fraktion, in einem Spiegel Online-Interview (https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/internet-exhibitionisten-spackeria-privatsphaere-ist-sowas-von-eighties-a-749831.html) meinte. Tatsächlich haben diese Ausdrücke und die damit verbundenen Vorstellungen schon bessere Zeiten gesehen. Fest steht: In den medialen Fokus gerieten Fragen nach dem Umgang mit Privatheit in den vergangenen Jahren vor allem im Zusammenhang mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Vor einigen Jahren sorgten die Enthüllungen Edward Snowdens über die Überwachungspraktiken der US-amerikanischen NSA (National Security Agency) und verbündeter Geheimdienste für Aufmerksamkeit, in jüngster Zeit tritt Chinas Sozialkreditsystem in den Fokus. Zu ähnlichen grundlegenden Verwerfungen führt der Umgang mit Privatheit in Sozialen Medien.

Weiterlesen