29 Apr

Der Zahn der Zeit. Altern als Indikator der Endlichkeit

Von Michael Fuchs (Linz)


Was ist Altern?

Wein altert. Häuser altern. Kunstwerke altern. Bäume, Hunde und Menschen altern. Wenn das durchschnittliche Alter in einer Gesellschaft zunimmt, sprechen wir von einer alternden Gesellschaft. Altern bezeichnet, wenn es auf Individuen oder individuelle Dinge bezogen ist, das Verstreichen der Zeit und die Veränderungen, die mit der Zeit erfolgen. Dies können Prozesse der Reifung und des Wachstums oder Vorgänge der Schrumpfung und des Verfalls sein. Auch unter den Lebewesen laufen die Prozesse der Alterung verschieden ab und werden unterschiedlich konzeptualisiert. In der Botanik steht Altern nicht für abnehmende Lebenskraft, sondern für alle zeitabhängigen Prozesse (vgl. Krupinska2021). In der Zoologie und der biologischen Anthropologie ist die Identifikation des biologischen Alterns mit der Seneszenz hingegen weitverbreitet. Was aber ist mit „Altern“ gemeint, wenn Psychologen oder Ratgeber von einem „erfolgreichen Altern“ sprechen? Hier scheint es nicht um einen Prozess zu gehen, der am Subjekt abläuft, sondern der durch das Subjekt gesteuert wird. In verschiedenen Darstellungen einer existentiellen Sicht auf das Altern und das Alter, Sebastian Knell spricht geradezu von einem „existentiellen Altern“ (Knell 2017, 109-110), wird deutlich, dass die Einsicht in die Endlichkeit bzw. in das Illusionäre der Unendlichkeit gerade durch Erfahrungen der Gebrechlichkeit und der Irreversibilität von Verlusten geprägt ist und dass die Erfahrung der Zeit kaum ohne Erfahrungen in der Zeit beschrieben werden kann.

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