06 Apr

Siegen – verlieren – verhandeln? Kritische Anmerkungen zu Habermas‘ vermeintlich friedensethischen Denkanstößen

Von Johannes Frühbauer (KSH München)


Ob das Ende eines Krieges bereits wirklich einen Weg zum Frieden darstellt, dürfte umstritten sein und bleiben. Eine notwendige Voraussetzung für Frieden stellt das Beenden von Kriegs- und militärischen Gewalthandlungen allemal dar. Kein Wunder also, dass mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine immer wieder Forderungen laut werden, die Kriegshandlungen einzustellen, die Gewalt zu beenden, dem Töten und unnötigen Sterben von Soldat*innen und Zivilist*innen eine Ende zu setzen und alles zu unterlassen, was dies unnötig verlängern würde. Der Philosoph Jürgen Habermas (*1929), als Kind und Jugendlicher zweifelsohne mit dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges konfrontiert, schließt sich in seinem jüngst veröffentlichten Beitrag jenen Stimmen an, die „auf ein öffentliches Nachdenken über den schwierigen Weg zu Verhandlungen drängen.“[i]

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09 Mrz

Absolute und relative Menschlichkeit im Krieg – der Versuch einer unparteiischen Parteinahme

Von Manuel Schulz


In vielen Menschen erzeugt die gegenwärtige politische Stimmung, die sich seit einem Jahr im Angesicht des russischen Überfalls auf die Ukraine breit gemacht hat, ein massives Unbehagen. Militaristische Engführungen der Konfliktanalyse wo man nur hinschaut und hinhört, kriegsbejahende Siegesrhetoriken, Debatten um die Vorzüge eines bestimmten militärisch-technischen Geräts von Politiker*innen, die noch vor kurzem scheinbar für eine pazifistische Grundhaltung standen. Sogar die Forderung einer militärischen Führungsrolle Deutschlands in Europa ist wieder zu erschreckender Salonfähigkeit gelangt. Angesichts der europäischen und insbesondere der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts läuft vielen Menschen bei solchen Forderungen ein kalter Schauer über den Rücken.

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12 Mai

Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Ein Offener Brief mit guten, aber nicht universell verpflichtenden moralischen Gründen

von Stephan Wagner (Münster)


In den vergangenen Tagen sorgte ein Offener Brief für einigen medialen Aufruhr, in dem eine Gruppe erstunterzeichnender Prominenter, unter ihnen einige prominente Jurist*innen und Philosoph*innen, den Bundeskanzler zu Besonnenheit in der Ukrainekrise mahnt und ihn ausdrücklich dazu auffordert, „weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine [zu] liefern“. Inhaltliche Hauptargumente des Briefes, bezüglich derer „Grenzlinien […] jetzt erreicht“ seien, sind die kategorisch abzuwendende Gefahr eines Atomkriegs sowie das Leiden der ukrainischen Zivilbevölkerung.

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06 Mai

Der Krieg in der Ukraine und die Europäische Sicherheitspolitik – Eine Zeitenwende? Ein Diskussionsvorschlag in drei Fragen

Von Pascal Delhom (Flensburg)


Der russische Einmarsch in die Ukraine wird vielfach von politischen Akteur*innen und im öffentlichen Diskurs in Europa als „Zeitenwende“ beschrieben. Es sei Zeit, alte Denkmuster zu überprüfen und sich der Realität einer Bedrohung zu stellen, die von vielen nicht ernst genug genommen worden ist. Dies ist sicher richtig. Doch lässt diese Zeitenwende viele Fragen offen.

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10 Mrz

Wir alle sind Teilnehmende des medialen Krieges

von Johannes Müller-Salo (Hannover)


Dieser Blogbeitrag kann auch als Podcast gehört und heruntergeladen werden:


Der Angriff Wladimir Putins auf die Ukraine zerstörte über Nacht Gewissheiten, die vermutlich die meisten Menschen in Europa und in der westlichen Welt für unerschütterlich gehalten hatten. Für die Philosophie des Krieges und der Gewalt stellen sich nun sehr alte Fragen neu. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei die Rolle der sozialen Medien – und damit die Rolle von uns allen, die wir täglich mit, über und in diesen Medien kommunizieren. Es braucht die Entwicklung einer Ethik der medialen Kriegsteilnahme.

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08 Mrz

Nachdenken über den Frieden in Zeiten des Krieges

Von Philipp Gisbertz-Astolfi (Göttingen)


Es tobt ein Krieg in Europa. Was vor Kurzem noch undenkbar schien, ist heute traurige und schockierende Realität. Die philosophische Ethik des Krieges bietet vieles, was sie uns Bereicherndes über diesen Krieg lehren kann. Am Ende bringt sie uns dorthin, woran ohnehin kein Zweifel bestehen darf und kann: Dieser Krieg ist ungerecht und verwerflich. Ich will hier einen anderen Fokus wählen, einen Ansatz der Hoffnung, einen Blick auf das gerade beinahe Undenkbare: den Frieden.

Keine Frage: Als Ethiker:in sollte man sich nicht vor dem Ungerechten verstecken, sollte es aushalten, dass einen diese Ungerechtigkeit zur Verzweiflung bringt, und dennoch weiter darüber nachdenken, Gedanken und Argumente sortieren und die Vernunft und Moral vor jenen zynischen Stimmen verteidigen, die sie entweder mit Lügen verdrehen oder mit einem vorgeschobenen und nur scheinbaren Realismus bestreiten. In der Ethik des Krieges finden wir zahlreiche kluge und leider aktuell allzu notwendige Argumente gegen einen solchen Realismus und gegen einen solchen Krieg. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis: Selbst, wenn man die von der russischen Regierung vorgeschobenen Kriegsgründe für bare Münze nehmen würde, selbst, wenn man annähme, dass die zum Teil absurden Behauptungen stimmten, würde das nicht genügen, um diesen Krieg ethisch zu rechtfertigen.

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07 Mrz

Nicht werten? Demokratieerziehung in Zeiten des Krieges

von Johannes Drerup (Dortmund)


In der Moscow Times[1] wurde im September letzten Jahres von einer eigentümlichen Begebenheit berichtet: Putin höchst selbst wollte die Schülerschaft in einer Schule in Vladivostok über ein militärgeschichtliches Ereignis aus dem 18 Jhdt. belehren und wurde von einem Schüler mit Bezug auf die Datierung korrigiert. Daraufhin entbrannte prompt eine Debatte darüber, ob der Schüler nicht angesichts einer solchen Dreistigkeit entlassen werden müsste. Putin aber habe sich – so die Legende bzw. die Inszenierung – daraufhin recht gönnerhaft gezeigt und gegen eine Entlassung ausgesprochen, da man doch froh sein könne, wenn sich junge Menschen gut mit der Geschichte des Vaterlandes auskennen. Angesichts dessen, dass Geschichtsunterricht und auch Geschichtswissenschaft ideologisch in Russland schon länger auf Linie gebracht werden, könnte man diese Episode auch als positives Exempel für die Grenzen der Indoktrination im Fachunterricht werten, auf die der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth hingewiesen hat (Tenorth 1992; 2008). Kinder und Jugendliche lernen eben auch in autoritären Systemen in der Schule nicht nur das, was sie lernen sollen. Die Erfahrungswelt der Schüler_innen ist nicht vollständig pädagogisch determinierbar und auch in einem Geschichtsunterricht, der auf eine triumphalistische Version von Nationalgeschichte verpflichtet wurde, kann man nicht ohne weiteres alle fachspezifischen Rationalitäts- und Methodenstandards über Bord werfen. Dies gilt zumindest dann, wenn man die pädagogische Erwartung hegt, dass hier überhaupt noch irgendetwas halbwegs Sinnvolles gelernt werden soll und `Geschichte´ nicht vollständig zu einer Art nationalistischem Fantasy-Roman regredieren soll. Anfügen kann man gleichwohl, dass die Schüler_innen angesichts der Reaktionen auf die Korrektur dann auch gleich mitlernen konnten, was es bedeutet, in einem autoritären Regime Kritik zu üben. Man bleibt auf Gedeih und Verderb von der Gnade des volkspädagogisch ambitionierten Autokraten abhängig, will man nicht entlassen oder gleich ins Gefängnis geschickt werden.

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05 Mrz

Frau Baerbocks Auftritt vor der UN-Vollversammlung: Eine ikonographische Analyse

Von Veronika Surau-Ott (Greifswald) und Konrad Ott (Kiel)


Nicht erst im Zeitalter digitaler Technologien wird Kriegspolitik medial inszeniert. Solche medialen Inszenierungen können beabsichtigt und geplant sein. Sie dienen dann der Desinformation, der Verunsicherung und der Entmutigung. Dies ist ordinäre Propaganda („phony war“). Sie können sich aber auch spontan und ungeplant ereignen. Dann greifen sie, ohne dass dies von den Akteuren beabsichtigt sein mag, zurück auf die uns allen eingeprägte Symbolsprache, die moralischen Codierungen unserer Kultur, die in der symbolisch strukturierten Lebenswelt „menschheitlich“ verwurzelt sind. Tiefe kulturelle Deutungsmuster, Archetypen und lebensweltliche Überzeugungen, die in gewisser Weise für uns unhintergehbar sind, verschränken sich und treten spontan und unverhofft in Kontexten auf, in denen sie normalerweise nicht vorgesehen sind. Solche sprachlich vermittelten Szenen sind darum so wirkmächtig, weil sie nicht vollauf bewusst inszeniert werden, sondern in ihrer Performanz an archetypischen Bildern und Narrativen partizipieren.

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04 Mrz

Friedens- und Sicherheitslogik zusammen denken

von Michael Haspel (Erfurt)


Im Bereich der politischen Philosophie der internationalen Beziehungen ist schon länger zu beobachten, dass angesichts der weltpolitischen Verschiebungen, die insbesondere mit dem Aufstieg Chinas verbunden sind, (neo-)realistische Ansätze, die vor allem wirtschaftliche und geostrategischen Interessen fokussieren, Konjunktur haben. Sogenannte „liberale“ Ansätze, die auf die Verrechtlichung und Institutionalisierung von Konflikten setzen, sind entsprechend zunehmend in der Defensive. Der Angriff Russlands auf die Ukraine scheint dieser Entwicklung nun Recht zu geben.

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28 Feb

Krieg und Frieden

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wird einhellig als historische Zäsur verstanden. Dieser Krieg erzeugt durch die geographische, kulturelle und politische Nähe eine Betroffenheit, die ungleich größer ist als bei Kriegen in der Distanz. Ja, auch bei vielen anderen Kriegen (zum Beispiel dem Irakkrieg 2003) gab es Proteste und eine öffentliche Diskussion, wie Frieden erreicht werden könnte. Die Sorgen sind nun, da der Krieg von einem autoritär regierten Russland gegen ein europäisches Land geführt wird, jedoch ungleich größere. Es mehreren sich die Stimmen, dass Frieden vor allem durch Aufrüstung und gegenseitige Abschreckung aufrechterhalten werden kann und dass es ein militärisch starkes Europa braucht. Die wirtschaftlichen Folgen dieses Kriegs und der verhängten Sanktionen werden ebenso spürbar sein – die Abhängigkeit vom russischen Gas ist groß –, wobei zu erwarten ist, dass die Lasten einer Teuerung vor allem die einkommensschwache Bevölkerung treffen werden (sowohl in Europa als auch in Russland). Ob und wann und durch welche Maßnahmen Russland zum Frieden gezwungen werden kann und welche mittel- und langfristigen Folgen dieser Krieg haben wird, ist noch nicht abzusehen. Die Hoffnung ist, dass es schnell zu Frieden kommt und sich die Ukraine nicht in ein zweites Afghanistan, Irak oder Syrien verwandelt. Der Weg der Ukraine – und auch der Russland – muss rasch in Demokratie und Frieden führen.

Dennoch sind auch in diesem Konflikt nicht alle Fragen einfach zu beantworten – weder die militärischen, politischen, ökonomischen noch die ethischen und philosophischen. Es stellen sich Fragen der Legitimität einer militärischen Unterstützung und Intervention, der moralischen Pflichten der europäischen Staaten gegenüber der Ukraine, der Bevölkerung, die vor Ort ist und jenen Menschen, die in sichere Häfen fliehen (wollen). Müssen Frieden und soziale Gerechtigkeit (in der Ukraine, in Russland, in Europa) Hand in Hand gehen? Wie Frieden unter nicht-idealen Bedingungen einer multipolaren Welt, in der auf allen Seiten konkurrierende geostrategische und ökonomische Interessen herrschen, geschaffen werden kann, ist die zentrale Frage, aber auch worin eigentlich der moralische relevante Unterschied zwischen diesem Krieg und anderen besteht, die differenzierte Reaktionen der europäischen Staaten legitimieren. Wer trägt die (moralische) Verantwortung für diesen Krieg und was bedeutet es überhaupt diese Frage zu stellen – Putin alleine, seine Unterstützer, all jene, die lange Jahre gute Geschäfte mit ihm gemacht haben? Dieser Krieg wird nicht nur in der Ukraine geführt, sondern auch in den (sozialen) Medien, in denen fake news einfach und massenhaft verbreitet werden können. Ist es die richtige Reaktion hierauf mit Verboten zu antworten, wie es die EU nun tut, indem sie die von der russischen Regierung kontrollierten Medien Russia Today und Sputnik sperrt? Welche Verantwortung haben die Medien, damit die Wahrheit nicht das erste Opfer wird? Schließlich geht es auch um uns selbst: Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?

Während Krieg herrscht scheint es nicht dringlich, ja vielleicht sogar pietätlos, Philosophie zu betreiben. Vor allem Philosophie, die sich mit Krieg und Frieden auseinandersetzt und die auch dabei notwendigerweise abstrakt, distanziert und kühl erscheinen muss. Es schreibt sich vielleicht zu einfach aus der Distanz über Tod und Leid, wenn man in der gemütlichen Stube einer westeuropäischen Universität sitzt, während anderswo die Bomben fallen. Natürlich lässt sich hier einwenden, dass leider immer irgendwo auf der Welt Krieg herrscht und ebenso, dass alle globalen Ungerechtigkeiten und die vielen Leiden auf die die Philosophie reflektiert, grausame Wirklichkeit für viele Millionen Menschen sind (zum Beispiel globale Armut, Ausbeutung, Flucht oder Menschenrechtsverletzungen). Darf, ja soll, die Philosophie sich nun in die öffentliche, mediale, politische und wissenschaftliche Debatte einbringen? Was hat sie dafür überhaupt anzubieten aus dem großen Fundus ihrer älteren und jüngeren Geschichte in der Krieg und Frieden durchaus intensiv analysiert wurden? Vielleicht ist nun die Zeit für die akademische Philosophie zu schweigen. Aber was würde das über die Philosophie aussagen, würde das nicht bedeuten, dass ihre Reflexionen nur als Feierabendvergnügen taugen, die angesichts der bitteren Realität wenig bis nichts wert sind?