21 Jun

Neutral gegenüber rassistischen und rechtsextremen Positionen? Internationale Diskussionen um ‚Kontroversität‘ und ‚Positionalität‘ von (religiöser) Bildung

Von Jan-Hendrik Herbst (TU Dortmund)


Am 10. Januar titelt die Washington Post (WP): „Ein republikanischer Senator vertritt die Auffassung, dass Lehrkräfte im Unterricht über Nationalsozialismus und Faschismus ‚unparteiisch sein‘ sollen.“ Diese Position vertrat Scott Baldwin, um den es im Artikel geht, im Kontext eines Gesetzesentwurfs in Indiana (‚Bill 167‘), der es Eltern erlauben sollte, sich aktiv gegen „spaltende Ideologien“ im Klassenzimmer einzusetzen. Auch wenn Baldwin die Aussage nach heftiger Kritik etwas relativierte, steht sie doch exemplarisch für eine gesellschaftliche Atmosphäre, in der eine wertebezogene Dimension von pädagogischer Praxis geleugnet bzw. eine bestimmte Form (‚pro-demokratisch‘; ‚pro-liberal‘ o.ä.) angegriffen wird. Bereits im Artikel der WP wird ein anderes Beispiel angeführt: Vor weniger als drei Monaten musste sich ein Schulverwalter in Nordtexas dafür entschuldigen, dass er Pädagog:innen dazu angewiesen hatte, Lesematerial mit „gegensätzlichen“ Ansichten zum Holocaust bereitzustellen. Der Kontext dieser Anweisung war ein neues Gesetz, welches Lehrkräfte zu einer multiperspektivischen Didaktik bei „gegenwärtig kontroversen“ Themen verpflichtete.

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06 Nov

Auf die demokratische Praxis kommt es an. Bemerkungen zur Streitkultur an Schulen als Antwort auf Johannes Drerup

Von Ole Hilbrich (Bochum)


Demokratie bezeichnet nicht allein eine zu verteidigende Ordnung des Streits. Zur demokratischen Praxis gehört es, dass darüber, wie demokratisch miteinander gestritten wird, selbst noch einmal gestritten werden kann und sollte. Auf einen solchen Streit hat sich Johannes Drerup dankenswerter Weise in einer Replik (2019a) auf meinen Kommentar zu seinen auf diesem Blog veröffentlichten Überlegungen[i] eingelassen. Wir scheinen uns einig darin, dass die demokratische Streitkultur an Schulen gegenwärtig bedroht ist und dass die Auseinandersetzung darüber, wie sie zu verbessern wäre, lohnt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf Drerups Thesen antworten. Seine Polemik verkennt nämlich den zentralen Punkt meiner Überlegungen: Die Orientierung Politischer Bildung an der Erfahrung der Pluralität und eine Offenheit für radikal andere Perspektiven öffnet keineswegs Verschwörungstheorien und einem radikalen Subjektivismus – Drerup spricht von „lazy subjectivism“ (2019a, S. 4) – Tür und Tor.

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11 Sep

Demokratische Erfahrungen in der Diskussion. Eine Replik auf Ole Hilbrich.

von Johannes Drerup (Amsterdam)


Meines Erachtens wird in der gegenwärtigen deutschsprachigen Erziehungs- und Bildungsphilosophie zu wenig diskutiert, d.h. es gibt nicht sonderlich viele kontinuierliche, aufeinander aufbauende und über längere Zeiträume verlaufende Debatten und Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Positionen.[i] Auch deshalb freue ich mich über die interessante und konstruktive Kritik von Ole Hilbrich[ii]. Also zur Sache.

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26 Jun

Kontroversität, Dissens und Streitkultur – Zu Zielen und Formen demokratischer politischer Bildung. Eine Replik auf Johannes Drerup und Johannes Giesinger

Von Ole Hilbrich (Bochum)


Johannes Drerup und Johannes Giesinger können das Verdienst für sich beanspruchen, in ihren Beiträgen zu diesem Blog drängende Fragen von Lehrenden bezüglich des unterrichtlichen Kontroversitätsgebot mit den Einsichten einer international geführten Debatte in der Erziehungs- und Bildungsphilosophie zu verknüpfen. In angemessener Dringlichkeit verweist Drerup in seinem Beitrag auf die Herausforderung einer demokratischen politischen Bildung durch Versuche von AfD-Politiker_innen, ihre Positionen mit Hilfe eines Verweises auf das nach dem Beutelsbacher Konsens gebotenen Kontroversitätsgebot in den Politikunterricht zu schmuggeln sowie Aktivitäten, die das demokratische Engagement von Lehrkräften diskreditieren. In Giesingers Antwort und Drerups erneuter Replik thematisieren die beiden zudem die Frage nach dem Respekt, der (auch) nicht-rationalen Positionen im Unterricht gebührt, die insbesondere in religiös-weltanschaulichen Konflikten zwischen Eltern und Lehrer_innen relevant erscheint. Auch wenn Drerups und Giesingers Argumente im von ihnen selbst gesteckten Rahmen einer liberal-perfektionistischen bzw. politisch-liberalen Philosophie über eine hohe Überzeugungskraft verfügen mögen, verkürzen sie doch – so meine These – mit diesem Zuschnitt der Debatte die Herausforderungen einer demokratischen politischen Bildung und deren Antworten in einer von ‚postfaktischen‘ politischen Positionierungen geprägten Gegenwart auf eine problematische Weise.

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12 Jun

Respekt und Kontroversität: Eine liberal perfektionistische Replik auf Johannes Giesinger

von Johannes Drerup (Freie Universität Amsterdam & Koblenz-Landau)


Dissens ist konstitutiv für liberale Demokratie und Dissensfähigkeit und Dissenstoleranz sind zentrale demokratische Tugenden. Die Frage nach den legitimen Grenzen von Dissens und Toleranz steht auch im Zentrum der Debatte über die angemessene Bestimmung von Kriterien für das, was im schulischen Unterricht legitimer Weise als kontrovers (oder nicht kontrovers) zu diskutieren ist.

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18 Apr

Zur Kontroverse um das Kontroversitätsgebot: Ein politisch-liberales Kriterium

von Johannes Giesinger (Zürich)


In einem anregenden Beitrag auf diesem Blog befasst sich Johannes Drerup mit der Frage, was in der Schule „direktiv“ und was „kontrovers“ unterrichtet werden sollte. Als direktiv gilt hier ein Unterricht, der bestimmte Inhalte als gültig (wahr, richtig) vermittelt. Unterrichtet man ein Thema in kontroverser Weise, so bedeutet das hingegen, dass man es mit offenem Ausgang präsentiert und diskutiert. Drerup spannt den Bogen vom Beutelsbacher Konsens von 1976, der als normative Grundlage der politischen Bildung in Deutschland gilt, zur aktuellen internationalen Debatte. Letztere dreht sich um drei verschiedene Kriterien dafür, was kontrovers zu unterrichten ist.

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