05 Mai

„Chaos in Ordnung bringen“. Zum Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit im Recht

Von Ino Augsberg (Kiel)


I. Einleitung

Rudolf Wiethölter, einer der wichtigsten deutschen Rechtstheoretiker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, charakterisiert sein Verständnis des Rechts gerne mit einer Formel, die er selbst von Adorno übernommen haben will. Diese Quellenangabe ist allerdings eher Reverenz als Referenz. Denn sie unterschlägt, dass der entscheidende Witz jener Formel erst durch Wiethölter geschaffen wird. Erst seine Streichung eines bei Adorno noch gegebenen bestimmten Artikels subvertiert die Ordnung des originalen Satzes und bringt dessen ursprünglich eindeutige Aussage in die Schwebe einer gegenwendigen Doppelbedeutung. Aus Adornos etwas bemüht antibürgerlicher Formulierung, „Aufgabe von Kunst heute“ sei es, „Chaos in die Ordnung zu bringen“ (Adorno 1994, 298), wird bei Wiethölter die knappere, auch imperativisch zu lesende Formel: „Chaos in Ordnung bringen“ (Wiethölter 1994, 107; dazu näher Zabel 2019), die sich in beide Richtungen zugleich lesen lässt, weil sie sowohl Ordnen des Chaos wie Chaotisierung der Ordnung heißen kann.

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