28 Feb

Krieg und Frieden

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wird einhellig als historische Zäsur verstanden. Dieser Krieg erzeugt durch die geographische, kulturelle und politische Nähe eine Betroffenheit, die ungleich größer ist als bei Kriegen in der Distanz. Ja, auch bei vielen anderen Kriegen (zum Beispiel dem Irakkrieg 2003) gab es Proteste und eine öffentliche Diskussion, wie Frieden erreicht werden könnte. Die Sorgen sind nun, da der Krieg von einem autoritär regierten Russland gegen ein europäisches Land geführt wird, jedoch ungleich größere. Es mehreren sich die Stimmen, dass Frieden vor allem durch Aufrüstung und gegenseitige Abschreckung aufrechterhalten werden kann und dass es ein militärisch starkes Europa braucht. Die wirtschaftlichen Folgen dieses Kriegs und der verhängten Sanktionen werden ebenso spürbar sein – die Abhängigkeit vom russischen Gas ist groß –, wobei zu erwarten ist, dass die Lasten einer Teuerung vor allem die einkommensschwache Bevölkerung treffen werden (sowohl in Europa als auch in Russland). Ob und wann und durch welche Maßnahmen Russland zum Frieden gezwungen werden kann und welche mittel- und langfristigen Folgen dieser Krieg haben wird, ist noch nicht abzusehen. Die Hoffnung ist, dass es schnell zu Frieden kommt und sich die Ukraine nicht in ein zweites Afghanistan, Irak oder Syrien verwandelt. Der Weg der Ukraine – und auch der Russland – muss rasch in Demokratie und Frieden führen.

Dennoch sind auch in diesem Konflikt nicht alle Fragen einfach zu beantworten – weder die militärischen, politischen, ökonomischen noch die ethischen und philosophischen. Es stellen sich Fragen der Legitimität einer militärischen Unterstützung und Intervention, der moralischen Pflichten der europäischen Staaten gegenüber der Ukraine, der Bevölkerung, die vor Ort ist und jenen Menschen, die in sichere Häfen fliehen (wollen). Müssen Frieden und soziale Gerechtigkeit (in der Ukraine, in Russland, in Europa) Hand in Hand gehen? Wie Frieden unter nicht-idealen Bedingungen einer multipolaren Welt, in der auf allen Seiten konkurrierende geostrategische und ökonomische Interessen herrschen, geschaffen werden kann, ist die zentrale Frage, aber auch worin eigentlich der moralische relevante Unterschied zwischen diesem Krieg und anderen besteht, die differenzierte Reaktionen der europäischen Staaten legitimieren. Wer trägt die (moralische) Verantwortung für diesen Krieg und was bedeutet es überhaupt diese Frage zu stellen – Putin alleine, seine Unterstützer, all jene, die lange Jahre gute Geschäfte mit ihm gemacht haben? Dieser Krieg wird nicht nur in der Ukraine geführt, sondern auch in den (sozialen) Medien, in denen fake news einfach und massenhaft verbreitet werden können. Ist es die richtige Reaktion hierauf mit Verboten zu antworten, wie es die EU nun tut, indem sie die von der russischen Regierung kontrollierten Medien Russia Today und Sputnik sperrt? Welche Verantwortung haben die Medien, damit die Wahrheit nicht das erste Opfer wird? Schließlich geht es auch um uns selbst: Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?

Während Krieg herrscht scheint es nicht dringlich, ja vielleicht sogar pietätlos, Philosophie zu betreiben. Vor allem Philosophie, die sich mit Krieg und Frieden auseinandersetzt und die auch dabei notwendigerweise abstrakt, distanziert und kühl erscheinen muss. Es schreibt sich vielleicht zu einfach aus der Distanz über Tod und Leid, wenn man in der gemütlichen Stube einer westeuropäischen Universität sitzt, während anderswo die Bomben fallen. Natürlich lässt sich hier einwenden, dass leider immer irgendwo auf der Welt Krieg herrscht und ebenso, dass alle globalen Ungerechtigkeiten und die vielen Leiden auf die die Philosophie reflektiert, grausame Wirklichkeit für viele Millionen Menschen sind (zum Beispiel globale Armut, Ausbeutung, Flucht oder Menschenrechtsverletzungen). Darf, ja soll, die Philosophie sich nun in die öffentliche, mediale, politische und wissenschaftliche Debatte einbringen? Was hat sie dafür überhaupt anzubieten aus dem großen Fundus ihrer älteren und jüngeren Geschichte in der Krieg und Frieden durchaus intensiv analysiert wurden? Vielleicht ist nun die Zeit für die akademische Philosophie zu schweigen. Aber was würde das über die Philosophie aussagen, würde das nicht bedeuten, dass ihre Reflexionen nur als Feierabendvergnügen taugen, die angesichts der bitteren Realität wenig bis nichts wert sind?

05 Aug

Populäre Philosophie und die intellektuelle Debatte außerhalb der Universität

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Forscher:innen, die auf der Universität (oder in außeruniversitären, vergleichbaren Institutionen arbeiten) sind es gewohnt, dass sie im Austausch mit Kolleg:innen stehen. Die Debatte gehört zum Kern der wissenschaftlichen Arbeit. Was aber tun, wenn das fehlt? Wie kann populäre Philosophie gelingen, ohne die Universität als sozialer Raum für Debatten am Flur, auf Tagungen, Workshops, in Zeitschriften oder über Zoom?

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24 Jun

Videos: Deutsch als Wissenschaftssprache in philosophischen Zeitschriften

Die online Diskussionsrunde „Deutsch als Wissenschaftssprache in philosophischen Zeitschriften“ fand am 8. Juni 2021 statt und wurde von der Zeitschrift für Praktische Philosophie gemeinsam mit dem populären Philosophieblog praefaktisch organisiert. Die Videos der Eingangsstaments sind zum Nachsehen online. Es diskutierten: Dagmar Borchers (Bremen, Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie), Andrea Esser (Jena, Deutsche Zeitschrift für Philosophie), Thomas Schramme (Liverpool, Ethik in der Medizin & Ethical Theory and Moral Practice) und Gottfried Schweiger (Salzburg, Zeitschrift für Praktische Philosophie). Andrea Klonschinski (Göttingen) hat die Moderation übernommen.

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15 Apr

Politische Philosophie und politische Arbeit an der Universität

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Politische Philosophie denkt oft über die großen Probleme und Ungerechtigkeiten in der Welt nach. Wie steht es aber um die politische Arbeit für politische Ideale und Ideen an der Universität? Diese politische Arbeit und die Besonderheiten der Organisation und des sozialen Raums „Universität“ werden nur selten explizit reflektiert, dabei hätte die politische Philosophie doch das Handwerkszeug dazu.

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22 Sep

Anerkennung und Armut

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Anerkennung hat sich in den letzten Jahren als ein zentrales Konzept in der politischen Philosophie und Sozialphilosophie etabliert. Ausgehend von seiner Verwendung bei Fichte und Hegel und insbesondere durch seine Aktualisierung im Werk von Axel Honneth, aber auch bei Denkerinnen wie Nancy Fraser oder Charles Taylor, wird Anerkennung zur Analyse und Kritik sozialer Verhältnisse herangezogen. Armut kann als Missachtung und Nichtanerkennung kritisiert werden.

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08 Jun

Was wir dafür tun dürfen. 50 Jahre Rote Armee Fraktion und die Frage der Bruchs in der politischen Philosophie

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Dieser Text, der das „Jubiläum“ der Gründung der Roten Armee Fraktion (RAF) vor knapp 50 Jahren zum Anlass nimmt, um über politische Gewalt nachzudenken, war schon fertig als in den USA nach der Tötung von George Floyd durch einen Polizisten Unruhen und Proteste ausbrachen. Die Frage dieses kurzen Essays wird durch die Ereignisse der letzten Tage aber in einen neuen und unmittelbar aktuellen Kontext gestellt. Bislang verlaufen die Proteste und Demonstrationen relativ ruhig und gewaltlos (vor allem gemessen am Maßstab der Bewaffnung der Bevölkerung in den USA) – die Situation kann aber jederzeit kippen und der Präsident der USA, Donald Trump, hat relativ rasch offen mit Gewalt und Waffeneinsatz gedroht. Die Aussicht auf ein besseres Leben und soziale Gerechtigkeit ist auch Jahrzehnte nach der Bürgerrechtsbewegung für einen Großteil der schwarzen Bevölkerung in den USA nicht gegeben und sie ist mit alltäglichen Nachteilen, Schikanen durch die Gesellschaft und die Behörden konfrontiert, die, wie der Tod von George Floyd eindrücklich zeigt, ihr Leben bedrohen. Daher auch der eindrückliche Slogan, der eine moralische Minimalbedingung beschreibt: „Black Lives Matter“. Ein weitere aktuelle Ungerechtigkeit zeigt sich in den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie, die benachteiligte Bevölkerungsgruppen und insbesondere AfroamerikanerInnen viel stärker trifft als die weiße Bevölkerung. Die Situation zwischen Deutschland 1970 als die RAF sich gründete und den USA 2020 sind natürlich nicht vergleichbar, da die sozialen und politischen Verhältnisse, die Strukturen der sozialen Bewegungen und die Akteure gänzlich andere sind – die Frage der Legitimität der Gewalt, um eine gerechtere Gesellschaft zu errichten, betrifft allerdings beide.

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19 Mai

Demokratisierung und Dekommodifizierung der Arbeit. Überlegungen zum Manifest #DemocratizingWork

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Vor einigen Tagen wurde das Manifest „ARBEIT: DEMOKRATISIEREN, DEKOMMODIFIZIEREN, NACHHALTIG GESTALTEN“ in Zeitungen und Zeitschriften in über dreißig Ländern veröffentlicht, das mittlerweile von über 3000 ForscherInnen, darunter auch viele PhilosophInnen, aus der ganzen Welt unterzeichnet wurde. Der Aufruf bezieht sich auf die COVID-19 Pandemie als Chance und Anlass für eine nachhaltige Veränderung des Erwerbsarbeitslebens. Wie aus dem Titel des Manifests hervorgeht, stehen drei Anliegen im Vordergrund: Arbeit soll demokratisiert werden, also Angestellte sollen in ihren Betrieben umfangreiche Mitspracherechte über Unternehmensentscheidungen erhalten. Arbeit soll dekommodifiziert werden, also jeder Mensch soll Anspruch auf einen würdigen Arbeitsplatz haben, der vom Staat garantiert wird. Arbeit soll nachhaltig gestaltet werden, also so verändert werden, um nicht mehr primär Profitinteressen zu dienen, sondern der Klimakrise entgegenzutreten. Das Manifest bietet vielerlei wichtige Anknüpfungspunkte für eine weiterführende (philosophische) Diskussion, welche sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen mittel- und langfristig erstrebenswert sind und wie der Weg dorthin gestaltet werden kann.

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11 Mai

Mehrbelastung von Wissenschaftler*innen in der Corona-Pandemie – Eine Replik auf Gottfried Schweigers Kommentar zur SWIP Stellungnahme

von Andrea Klonschinski (Kiel)


Gottfried Schweiger hat an diesem Ort kürzlich *Kritik* an der *Stellungnahme* der Society of Women in Philosophy e. V. (SWIP) zur Corona-Pandemie geübt. Die Stellungnahme, so Schweiger, sei zu vage, benenne weder die für bestimmte Maßnahmen Verantwortlichen, noch differenziere sie hinreichend zwischen den negativ Betroffenen und lasse es an Vorschlägen konkreter gegenseitiger Solidarität im Wissenschaftsbetrieb vermissen. Damit sende sie insgesamt ein zu schwaches Signal. Während ich viele seiner grundlegenden Überlegungen teile, scheint mir eine Kritik an der SWIP-Stellungnahme nicht der richtige Ort, um diese zu artikulieren. Tatsächlich vermengt Schweiger meines Erachtens verschiedene Themen bzw. Fragen, die alle in der derzeitigen Situation relevant sind, aber auseinandergehalten werden sollten, wie ich im Folgenden skizzieren möchte. Dabei weist die Auseinandersetzung mit der SWIP-Stellungnahme über den konkreten Anwendungsfall hinaus, insofern sie Ungerechtigkeiten im Wissenschaftsbetrieb sowie den angemessenen individuellen und institutionellen Umgang damit thematisiert.

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08 Mai

Solidarität im philosophischen Wissenschaftsbetrieb? Ein Kommentar zur Stellungnahme von SWIP Germany

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Es ist ein Verdienst von SWIP Germany (Society for Women in Philosophy), dass sie sich der Frage der ungleich verteilten Belastungen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs in Zeiten der COVID-19 Pandemie in einer Stellungnahme angenommen hat. Obwohl ich die Stellungnahme inhaltlich fast vollständig teile und diese Textsorte immer gewisse Unzulänglichkeiten mit sich bringt, bleibt doch der Eindruck, dass hier ein stärkeres Signal gesendet hätte werden können. So bleibt der Aufruf für mich etwas zu sehr im Vagen hängen.

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22 Apr

Verletzbarkeit und Benachteiligung in Zeiten von COVID-19

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Verletzbarkeit ist nicht nur eine natürliche Eigenschaft aller Menschen, sondern sie ist stark von den sozialen Verhältnissen geprägt, in denen Menschen leben. Das sehen wir auch jetzt in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Es ist zu befürchten, dass insbesondere jene Bevölkerungsgruppen, die von Armut, Ausgrenzung anderen Benachteiligungen betroffen sind, in dieser Pandemie zu Opfern werden.

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