19 Apr

Ein bisschen Frieden? – Eine uneigentliche Philosophie des Schlagers

von Florian Arnold (HfG Offenbach)


Als Nicole beim Eurovision Song Contest 1982 einer der erfolgreichsten deutschen Schlager performte, wusste sie nicht, was sie damit anrichten sollte. Nicht nur gewann die erst 17-jährige den ersten Preis und erlebte einen kometenhaften Aufstieg in die obersten Klangsphären des Schlagerkosmos, sondern sie verlieh der buchstäblichen „Eurovision“ zugleich eine Deutung, die heute, nach 40 Jahren, leider wieder an Aktualität gewonnen hat, denkt man etwa an den Ukraine-Russland-Krieg oder Fridays for Future. In einem Jahr des Falkland- und ersten Libanonkriegs, des Regierungswechsels Schmidt-Kohl per Misstrauensvotum und des NATO-Gipfels in Bonn machte sich die noch junge Friedensbewegung seinerzeit Luft gegen die Angst vor weiterer Aufrüstung und einer sich abzeichnenden ökologischen Krise. Und als weithin sichtbarer Ausdruck dieses Umdenkens muss man auch Nicoles Beitrag werten.

Im Rückblick interessant jedoch scheint weniger diese Tatsache selbst, als die Art und Weise, der Ton, durch den sie sich Gehör verschaffte. So lautet die zweite Strophe:

„Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel.
Ich bin nur ein Mädchen, das sagt, was es fühlt.
Allein bin ich hilflos, ein Vogel im Wind,
der spürt, dass der Sturm beginnt.“

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03 Feb

»Denken dichten. Philosophische Poetologien jüngerer und ältester Gegenwart« – Ein Vorwort

Von Florian Arnold (Stuttgart und Offenbach)


Lyrik genießt derzeit freudigen Zuspruch. Eine rege Szene, insbesondere im deutschsprachigen Raum, ist in den letzten zehn-fünfzehn Jahren durch weithin beachtete Veröffentlichungen, gutbesuchte Lesungen, aber auch poetologische-programmatische Reflexionen einem größeren Publikum bekannt geworden. Darunter finden sich Bestseller von einem späteren Büchner-Preisträger (Jan Wagners Regentonnenvariationen von 2014), experimentierfreudige Produktions- und Lebensgemeinschaften (kookbooks), aber auch parauniversitäre Forschungsprojekte (Spekulative Poetik) auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst. So fehlt es weder an euphorischen Suggestionen in einer neuen „Blütezeit der Lyrik“[1] zu leben noch an halbironischen Hassliebe-Bekundungen, von den Prätentionen dieser Gattung nicht lassen zu wollen, auch wenn ein beständiges Scheitern der Sache nach unvermeidlich, ja geradezu gefordert scheint.[2]

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05 Nov

Was taugen philosophische Gedankenexperimente? Zur Ethik des Kontrafaktischen

Von Florian Arnold (Stuttgart)


Wer sich in seinem Leben länger an philosophischen Instituten aufgehalten hat, dem dürfte die Situation schon einmal untergekommen sein, dass im Zuge einer Seminarübung, ausgestattet mit einem oder mehreren Texten und befeuert durch den didaktischen Übermut des Dozierenden, die Welt in Gedanken kurzerhand auch einmal vernichtet werden kann – wenn auch in der erklärten Absicht, sie wieder aufzubauen. Wer zudem noch im Heidelberg der Nullerjahre die Gelegenheit hatte, den Gedankengängen eines äußerst jungen, begeisternden Dozenten zu folgen, die nicht selten in einem skeptischen Szenario eines totalen Verblendungszusammenhangs mündeten, der mag sich seinerseits heute nicht mehr wundern, dass es die Welt nicht geben soll und der Geist zu einer Fiktion par excellence geworden ist. – Aber kann man das so einfach: Szenarien im Kopf entwerfen, daraus Konsequenzen entwickeln und zu guter Letzt behaupten, der Wahrheit näher gekommen zu sein? Klingt das nicht zu sehr nach dem Wunsch, die Differenz von Wunsch und Wirklichkeit zu verwischen? Und überhaupt, spricht hieraus nicht die berühmt-berüchtigte Weltfremdheit einer ewig alten Philosophenzunft: Kopfgeburten zur Welt zu bringen und bei Komplikationen eher die Existenzberechtigung der Welt in Zweifel zu ziehen? Kann man eine solche Weltverweigerungshaltung mit absolutem Wahrheitsanspruch heute noch ernst nehmen?

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