18 Jul

Bedrohte akademische Freiheit. Der Fall Central European University

von Alexander Reutlinger (München)


Seit einem Jahr steht die Central European University (CEU) in Budapest unter hohem Druck, ja letztlich droht ihre Schließung. Grund dafür ist ein 2017 von der ungarischen Regierung verabschiedetes Gesetz („Lex CEU“). Dieser Vorgang ist ein – zumindest in der EU – beispielloser Angriff auf eine Universität. Nach der jüngsten Wiederwahl von Viktor Orbán hat sich die Lage der Universität in Ungarn keinesfalls verbessert.

Aber worin genau besteht eigentlich der Angriff auf die CEU? Was genau ist kritikwürdig am Vorgehen der ungarischen Regierung? Eine naheliegende Diagnose lautet: Die ungarische Regierung schränkt die akademische Freiheit der CEU ein. Der Begriff der akademischen Freiheit ist jedoch schillernd und mehrdeutig. Wie sollte man diesen Begriff also in Bezug auf den CEU-Fall genauer fassen?

Eine mögliche Lesart bezieht sich auf Forschungsfreiheit. Der Begriff der Forschungsfreiheit bezeichnet meist, dass Wissenschaftler/innen frei, d.h. vom Staat ungehindert, ihre Forschungsthemen wählen und verfolgen dürfen. Dies wird in der politischen Philosophie häufig als eine negative Freiheit bezeichnet. Im Fall der CEU scheint jedoch das Problem nicht in einer Verletzung der Forschungsfreiheit (in diesem Sinne) zu liegen, denn niemand hindert einzelne Forscher/innen an der CEU, sich frei Themen zu setzen und zu diesen Themen Forschung zu betreiben. Dennoch scheint der Angriff auf die CEU mit der Einschränkung einer akademischen Freiheit zusammenzuhängen.

Welche akademische Freiheit – wenn nicht die Forschungsfreiheit – wird dann torpediert? Meine These lautet, dass die ungarische Regierung mit dem Angriff auf die CEU eine fundamentale positive, akademische Freiheit von Universitäten aktiv und gezielt untergräbt: die universitäre Autonomie. Diese Autonomie besteht darin, dass der Staat dazu verpflichtet ist, einen institutionellen Rahmen langfristig zu garantieren und (u.a. finanziell) zu fördern, in dem sich Forschung und Lehre entfalten können. Die Autonomie einer Universität ist eine Grundlage der oben genannten Forschungsfreiheit, d.h. in dem vom Staat garantierten institutionellen Rahmen kann sich die Forschung von Wissenschaftler/innen frei (im Sinne der Forschungsfreiheit) entfalten. In Deutschland ist die universitäre Autonomie durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts („Hochschulurteil“) gesichert. Die Idee der universitären Autonomie und deren faktische Umsetzung stellen ein konkretes und greifbares Beispiel dafür dar, wie stark Forschung von aktiver und wohlwollender staatlicher Unterstützung abhängig ist. Die ungarische Regierung von Viktor Orbán kommt hingegen der zentralen Fürsorgepflicht des Staates, die universitäre Autonomie zu garantieren, gegenüber der CEU – einer seit langem in Ungarn akkreditierten und gesetzeskonform agierenden Universität – auf eklatante Weise nicht nach. Dieses Versäumnis kann und sollte der gegenwärtigen ungarischen Regierung moralisch bzw. politisch (und zumindest im Rahmen europäischer Richtlinien auch juristisch) zum Vorwurf gemacht werden.

Mein Hauptanliegen besteht hier darin, klar zu benennen, worauf sich dieser Vorwurf bezieht: Er bezieht sich nicht auf eine Einschränkung der Forschungsfreiheit sondern auf eine viel grundlegendere und damit auch schwerwiegendere Untergrabung der universitären Autonomie.

Diese Untergrabung der universitären Autonomie zieht konkrete und dramatische Folgen nach sich: Erstens lässt sich die selbstgesetzte „Mission“ der CEU nicht mehr verwirklichen. Diese Mission besteht in der Stärkung einer durchlässigen, sozial gerechten und Demokratie fördernden universitären Bildung in Ungarn und ganz Mittelosteuropa. Diese Mission lässt sich nur aber nur mit aktiver und wohlwollender Unterstützung der ungarischen Regierung durchführen. Zweitens muss sich die CEU ernsthafte Sorgen um das Wohlergehen und die berufliche Zukunft ihres wissenschaftlichen und Verwaltungspersonals machen. Spätestens seit der jüngsten Wahl gehört die öffentliche Diffamierung einzelner, namentlich genannter CEU-Forscher/innen als „Soros-Söldner“ in regierungsnahen Zeitungen zu diesen Repressalien. Es ist der traurige Höhepunkt einer auch antisemitische Stereotype bedienenden Kampagne gegen George Soros.

Die einzige wirkliche Hoffnung auf eine Rückgewinnung der universitären Autonomie für die CEU bestünde darin, dass die Mitte-Links-Opposition an die Macht kommt. Diese Hoffnung hat sich nach der jüngsten Wahl jedoch für die nähere Zukunft zerschlagen. Auf internationale Hilfe zu warten, ist ebenfalls alles andere als sicher, denn die Europäische Volkspartei (EVP) und insbesondere die CSU in Bayern haben sich de facto nicht nachdrücklich gegen Orbáns Politik ausgesprochen. Es steht in den Sternen, ob die EVP ihren Kurs in absehbarer Zukunft ändern wird. Ähnliches gilt für den Rückhalt, den die CEU aus der Zivilgesellschaft und von Nichtregierungsorganisationen in Ungarn und Europa erhalten könnte. Ein schlechtes Omen ist der im Mai 2018 bekanntgegebene Rückzug der Open Society Foundation aus Ungarn.


Alexander Reutlinger arbeitet als Akademischer Rat an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er forscht und lehrt zu Themen der Wissenschaftsphilosophie und angrenzenden Bereichen der Philosophie.

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