01 Dez

Onkomoderne. Kapitalismus und/als Krankheit.

Von Michaela Wünsch (Berlin)


Onkomoderne ist eine Sammlung von Kolumnen der Berliner Künstlerin und Autorin Christina Zück, die zuerst in der Zeitschrift von hundert erschienen. Allein der programmatische Titel legt eine Zustandsbeschreibung und -analyse gegenwärtiger Verhältnisse nahe, die sich durch selbstdestruktive Expansion, Wucherung, aber auch Pathologisierung[1] von vermeintlichen Abweichungen von der Norm auszeichnet. Zück analysiert diese Verhältnisse anhand von Ereignissen, Vorträgen, Ausstellungen, Demonstrationen, Filmen, Krankenhaus- und Reha-Aufenthalten und Gebäuden, denen sie alltäglich begegnet oder die sie besucht und bezieht sich in ihren ‚Diagnosen’ auf Theorien des Akzelerationismus, Anthropozäns, Marxismus und die Psychoanalyse.

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25 Okt

Die Philosophie von Severance

Von Rebecca Bachmann (Kassel)


„Who are you“ – das ist nicht nur eine Grundsatzfrage der Philosophie, sondern auch der erste Satz der 2022 erschienenen Serie Severance. Die Serie gleicht in ihrer Prämisse einem philosophischen Gedankenexperiment: Stell dir vor, es gibt einen Chip, der es dir ermöglicht, dein Selbst in zwei Teile zu spalten: Ein privates und ein Jobselbst. Ihr teilt euch zwar einen Körper, dein Jobselbst ist aber nur für die Arbeit zuständig, dein privates Selbst für den Rest, beide wissen nichts vom Alltag des anderen – die perfekte Work-Life-Balance!

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20 Sep

Politische Sozialisation und Computerspiele

Von Wulf Loh (Tübingen)

Einleitung

Als zumeist auch narratives Medium vermitteln viele Computerspiele ein bestimmtes Bild von Politik. Das heißt, sie stellen politische Werte, Legitimationsmechanismen und -strategien, Aushandlungsprozesse, Machtverteilungen und -ungleichgewichte usw. auf eine bestimmte Weise dar und leisten so – wie andere Medien auch – einen Beitrag zur politischen Sozialisation. Von anderen Medien unterscheiden sie sich allerdings nach landläufiger Meinung durch ihre höhere Immersivität und Interaktivität. Dies wirft die Frage auf, ob Computerspiele aufgrund ihrer besonderen Belohnungsstrukturen und ihrer „aktionalen Involvierung“ (Neitzel 2012) die Medienkompetenz der Nutzer:innen vor größere Herausforderungen stellen und daher in besonderer Weise Rückwirkungen auf deren demokratische Sozialisation und Sozialintegration als Citoyens haben können.

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23 Aug

Verspielte Perspektive. Zum ethischen Potenzial von Games

Martin Henning (Tübingen) und Patricia Wolny (Passau)


Digitale Spiele sind längst kein Nischenprodukt mehr, sondern nehmen in der aktuellen Populärkultur eine zentrale Stellung ein. Dabei prägen sie auch unsere Vorstellungen, wie die Welt beschaffen ist und wie wir uns handelnd in dieser Welt verhalten können, wesentlich mit. Im Folgenden soll deshalb nach einem spezifischen ethischen Potenzial des Video- und Computerspiels gefragt werden.

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26 Jul

Das Auge singt mit – Für eine Genealogie der Popkultur

Von Volkmar Mühleis (Brüssel)


K-Pop, das ist in vielerlei Hinsicht eine perfektionistische Überspitzung seit den sechziger Jahren bekannter Schemata im Popbereich: Das Phänomen der Girl- und Boygroups seit Hitfabriken wie Motown, das Spiel mit Genderrollen seit den Beatles, wenn sie mit Pilzkopf und auf Beatle-Boots mit zumindest höheren Absätzen als üblich für Männer aufgetreten sind. Modisch reicht dieses Spiel zurück bis Coco Chanel, als die junge Dame mit Bubikopf und im stracken Kostüm erschien. Pop ist immer auch eine Fortsetzungsgeschichte bereits gestrickter Muster, Abweichung und Variation prämieren hier vor Autonomie und Innovation. Rabea Krollmann veröffentlichte im vergangenen Jahr einen markanten Seitenblick auf eine dieser perfektionistischen Überspitzungen im K-Pop, das Cross-Dressing.

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10 Mai

Philosophie und Computerspiele

Von Sebastian Ostritsch (Stuttgart)


Computerspiele haben sich von einem nerdigen Nischenhobby zu einem Massenphänomen der Populärkultur entwickelt. Aber auch das Nerdsein gehört inzwischen zum Mainstream und es wäre eine interessante soziologische Frage, ob der Nerd die Games oder die Games den Nerd populär gemacht haben. Der Nerdigkeit des Mediums entsprechend scheuen Computerspiele auch vor philosophischen Themen nicht zurück. Neben moralischen Dilemmata (etwa in The Walking Dead, 2012-2019) wird in Games auffallend häufig der Zusammenhang von Determinismus und Freiheit ausgelotet, so etwa im genialen The Stanley Parable (2011) oder auch im Rätselspiel The Talos Principle (2014), in dem auch noch die Möglichkeit und der Wert Künstlicher Intelligenz thematisiert werden. In umgekehrter Richtung hat sich in den letzten Jahren auch die Philosophie der Computerspiele angenommen. Diese haben sich dabei in gleich mehrfacher Hinsicht als bedenkenswert erwiesen.

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19 Apr

Ein bisschen Frieden? – Eine uneigentliche Philosophie des Schlagers

von Florian Arnold (HfG Offenbach)


Als Nicole beim Eurovision Song Contest 1982 einer der erfolgreichsten deutschen Schlager performte, wusste sie nicht, was sie damit anrichten sollte. Nicht nur gewann die erst 17-jährige den ersten Preis und erlebte einen kometenhaften Aufstieg in die obersten Klangsphären des Schlagerkosmos, sondern sie verlieh der buchstäblichen „Eurovision“ zugleich eine Deutung, die heute, nach 40 Jahren, leider wieder an Aktualität gewonnen hat, denkt man etwa an den Ukraine-Russland-Krieg oder Fridays for Future. In einem Jahr des Falkland- und ersten Libanonkriegs, des Regierungswechsels Schmidt-Kohl per Misstrauensvotum und des NATO-Gipfels in Bonn machte sich die noch junge Friedensbewegung seinerzeit Luft gegen die Angst vor weiterer Aufrüstung und einer sich abzeichnenden ökologischen Krise. Und als weithin sichtbarer Ausdruck dieses Umdenkens muss man auch Nicoles Beitrag werten.

Im Rückblick interessant jedoch scheint weniger diese Tatsache selbst, als die Art und Weise, der Ton, durch den sie sich Gehör verschaffte. So lautet die zweite Strophe:

„Ich weiß, meine Lieder, die ändern nicht viel.
Ich bin nur ein Mädchen, das sagt, was es fühlt.
Allein bin ich hilflos, ein Vogel im Wind,
der spürt, dass der Sturm beginnt.“

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22 Mrz

Reduktion als Reiz: Zur Einfachheit in Videospielen

von Thomas Arnold (Heidelberg)


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Videospiele sind einfältig – und unter anderem deshalb so reizvoll; sie reduzieren Erfahrung und bieten gerade deshalb mehr Erlebnis. Dass viele Videospiele uns mit Mechanismen von Herausforderung, Belohnung und Flow bei der Stange halten (ähnlich wie beim Glücksspiel), ist hinlänglich bekannt. Auch die Attraktion von simulierter Autonomie und Macht ist uns vertraut: endlich frei, endlich ungebunden agieren zu können. Ein weiterer, weniger beleuchteter Aspekt der Videospiele so reizvoll macht, besteht in der  Einfachheit, Einheitlichkeit und Eindeutigkeit, denen wir in ihnen begegnen – und das in mehrfacher Hinsicht, wie wir im Folgenden sehen werden.

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