13 Nov

#Metoo und Frauen in der akademischen Philosophie: Der perfekte Sturm

von Andrea Klonschinski (Kiel)


Was ist die #Metoo Debatte?

Bevor das Thema #Metoo sinnvoll diskutiert werden kann, gilt es zunächst zu klären, was genau eigentlich gemeint ist, wenn von der #Metoo Debatte die Rede ist. Hier sind mindestens zwei verschiedenartige Phänomene zu unterscheiden: erstens der Hashtag #Metoo, unter dem zunächst Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber Hollywoodgrößen laut wurden, der sich später aber zu einem Forum entwickelte, in dem Frauen ein breites Spektrum an Erfahrungen mit Sexismus schildern. Diese Berichte sind sicherlich „undifferenziert“, wie Kritiker häufig einwenden, insofern sie subjektiv sind und zunächst einmal unverbunden nebeneinanderstehen. Aber genau darin liegt auch die Wirkungsmacht von #Metoo: diese Erfahrungen erst einmal ungefiltert an die Öffentlichkeit zu bringen. Zweitens hat dieses Twitter-Phänomen nämlich bekanntermaßen eine mediale und gesellschaftliche Debatte über den Umgang von heterosexuellen Frauen und Männern miteinander im Rahmen gesellschaftlicher Machtverhältnisse angestoßen.[*] Diese Debatte findet im Feuilleton statt, in Talkshows, am Küchen- oder Stammtisch sowie in der Paneldiskussion „#Metoo@Philosophie“ im Rahmen der VI. Tagung für Praktische Philosophie, auf der dieser Text basiert.

Ein Blick in die Philosophie

Wie sieht es nun mit sexistischen Machtstrukturen und sexuellen Übergriffen innerhalb der akademischen Philosophie aus? Anders als etwa in den USA sind im deutschsprachigen Raum meines Wissens bislang keine Berichte über sexuelle Belästigungen durch Philosophieprofessor_innen an die Öffentlichkeit gelangt (siehe z. B. zu den Vorwürfen gegen Thomas Pogge und John Searle). Aus meinem eigenen Umfeld sind mir Vorkommnisse, wie sie etwa auf der Seite https://beingawomaninphilosophy.wordpress.com/ geschildert werden, nicht bekannt und ich selbst kann glücklicherweise ebenfalls nicht von Übergriffen verbaler oder physischer Art seitens meiner Kollegen oder Vorgesetzten berichten.

Ist die deutschsprachige akademische Philosophie also eine Insel der Gleichberechtigung und des Respekts inmitten einer sexistischen Gesellschaft, wie es #Metoo nahelegt? Das wäre sehr unwahrscheinlich. Ganz davon abgesehen, dass meine individuellen Erfahrungen natürlich nicht repräsentativ sind und ich keineswegs bestreiten will, dass es in der Philosophie zur Ausnutzung von Machtverhältnissen von Frauen gegenüber Männern – oder andersherum – kommt, deutet ein nüchterner Blick auf die Zahlen darauf hin, dass die Philosophie ein Problem mit Frauen hat – oder Frauen mit der Philosophie.

Während im angelsächsischen Raum der geringe Anteil von Frauen in der akademischen Philosophie empirisch gut belegt ist und seit längerem diskutiert wird, kann das für die deutschsprachigen Länder – trotz gegenteiliger Bemühungen etwa der Society of Women in Philosophy (SWIP) (http://swip-philosophinnen.org/, http://swip-austria.eu/) – nicht behauptet werden. Wie ich an anderem Ort zeige (Klonschinski, unveröffentlichtes Manuskript), deuten die Daten des Statistischen Bundesamts zumindest darauf hin, dass der Gender-Gap in der Philosophie in Deutschland ähnlich ausgeprägt ist wie in den USA oder GB. Während 2016 das Geschlechterverhältnis unter den Studierenden ausgeglichen ist, stammen von den abgeschlossenen Promotionen im selben Jahr nur 32,3% von Frauen und 22% der Philosophieprofessuren waren von Frauen besetzt. Zum Vergleich: für die USA wird berichtet, dass sich anfangs zwar knapp mehr Frauen als Männer in Philosophiekurse einschreiben, aber bereits wesentlich weniger Frauen als Männer einen Abschluss im Hauptfach Philosophie erlangen. Unter den Absolvent_innen eines PhD-Studiums findet sich nur noch etwa ein Drittel Frauen und der Anteil von Frauen unter den unbefristeten Vollzeitstellen beträgt unter 20%.

Dass Frauen in prestigeträchtigen Berufen unterrepräsentiert sind, ist nichts Neues. Frappant sind diese Zahlen aber im Vergleich zu anderen Fächern: so bleibt die Philosophie mit ihrer Geschlechterstruktur relativ weit hinter anderen „humanities“ zurück und ist diesbezüglich eher vergleichbar mit der Mathematik oder dem Wirtschaftsingenieurwesen. 2016 waren in den Geisteswissenschaften insgesamt 36% der Professor_innen weiblich, bei Wirtschaftsingenieurwesen 21,3%. Diese Zahlen verlangen also nach einer Erklärung: was ist es an der akademischen Philosophie, dass sie für Frauen unattraktiv macht?

„A Perfect Storm“

Sind Philosophen besonders frauenfeindlich oder sind Frauen vielleicht einfach nicht dafür gemacht, Philosophie zu betreiben, wie schon Rousseau, Kant und Hegel behaupteten? Weder noch. Wesentlich plausibler scheint mir die Diagnose Louise Anthonys, die zur Erklärung des Gender-Gaps in der Philosophie von einem „perfekten Sturm“ spricht, also dem ungünstigen Zusammentreffen sich gegenseitig verstärkender Faktoren, die insgesamt zu einer Benachteiligung von Frauen führen. Diese These möchte ich im Folgenden anhand einiger Beispiele kurz illustrieren.

Wie sieht der prototypische Philosoph aus? Nennen Sie möglichst schnell, ohne viel nachzudenken, fünf bekannte Philosophen oder Philosophinnen, wer fällt Ihnen ein? Aristoteles, Platon, Kant, Hegel, Nietzsche? Männer dominieren die Geschichte der Philosophie und somit nicht nur unser Bild des typischen Philosophen, sondern auch den Kanon klassischer Texte im Studium. Um ein Beispiel anzuführen: am Philosophischen Seminar der Universität Kiel müssen die Studierenden am Ende ihres Bachelorstudiums eine mündliche Prüfung zu zwei philosophischen Werken ihrer Wahl ablegen. Die Literaturliste mit Vorschlägen für die Lektüre enthält 231 Monographien, wovon 11 (!) von Frauen stammen – das sind knapp unter 5%. Welche Botschaft sendet das an Studentinnen, die zudem mit höherer Wahrscheinlichkeit mit männlichen als mit weiblichen Professoren zu tun haben? Ein sozialpsychologisch gut belegter Effekt ist der sogenannte Stereotype Threat, das Phänomen also, dass Mitglieder einer stereotypisierten Gruppe (z. B. Frauen) bei einer relevanten Aufgabe (z. B. philosophische Hausarbeit) schlechter abschneiden als andere (z. B. Männer), weil sie unbewusst befürchten, den negativen Stereotyp zu erfüllen. Sie bleiben also hinter ihren eigentlichen Möglichkeiten zurück. Dieser Effekt tritt insbesondere dann ein, wenn die stereotypisierte Gruppe in der krassen Minderzahl ist.

Neben der Überzahl männlicher Philosophen ist die moderne akademische Philosophie noch in einem weiteren Sinne „männlich“ geprägt, – damit meine ich: sie weist Charakteristika auf, die dem männlichen Genderstereotyp entsprechen – nämlich hinsichtlich Methode und Selbstverständnis. Im Zentrum insbesondere der analytisch geprägten Philosophie steht der kompetitive Streit um das bessere Argument. Allein die Beschreibung einer philosophischen Diskussion erinnert häufig regelrecht an eine Schlacht: es gilt, den „Gegner“ erst einmal „stark“ zu machen, um dann die „Schwächen“ in seiner Argumentation aufzuzeigen und schließlich einen Gegenentwurf zu präsentieren, den man bereits weitgehend gegen Kritik „absichert“, da er ansonsten sofort von der Konkurrenz „zerlegt“ wird. Dabei bleibt keine für selbstverständlich angenommene Prämisse, kein Begriff, kein implizites Werturteil unhinterfragt, was insbesondere in interdisziplinären Diskussionen schon mal für Irritationen bis hin zu feindlichen Reaktionen sorgen kann. Lust an der Auseinandersetzung und am argumentativen Wettbewerb um des Argumentes und nicht immer um der Wahrheit willen sowie eine gewisse Resilienz gegen Kritik steht dem Philosophen und der Philosophin daher gut zu Gesicht.

Diese Charakteristika der akademischen Philosophie kulminieren in dem Schema eines professionellen Philosophen, das dem weiblichen Genderstereotyp diametral entgegengesetzt ist, wie Sally Haslanger herausgearbeitet hat. Gendernormen fordern von Frauen, bildlich gesprochen, gerade nicht den Kampf, sondern die Versöhnung. Mädchen werden sozialisiert, um zu gefallen, nicht um mit steilen Thesen aufzufallen. Frauen (und Männer!), die auf diese Art sozialisiert worden sind, werden entweder von sich aus nicht viel Gefallen an der akademischen Philosophie finden oder sie werden dort nicht ernst genommen. Das Perfide ist nun, dass der Clash der Schemata „Frau“ und „Philosoph“ auch für diejenigen Frauen Nachteile hat, die gerne diskutieren und sich gerne in einer Argumentation behaupten, denn dieses Aus-der-Gender-Rolle-Fallen wird ebenfalls sanktioniert. Autorität, Dominanz und Macht sind nach wie vor männlich konnotiert; bei Frauen wird entsprechendes Auftreten schnell als arrogant oder aufgesetzt beurteilt. Empirische Studien zeigen z. B., dass Frauen, die einen freundlichen, aber bestimmten Führungsstil pflegen, sowohl von Männern als auch von Frauen negativer wahrgenommen werden, als Männer, die sich ebenso verhalten. Frauen in der Philosophie stehen also vor einem Dilemma: einerseits müssen sie das konfrontative Spiel der Philosophie mitspielen und ihre Positionen selbstbewusst gegen Kritik behaupten, andererseits dürfen sie nicht zu aggressiv und dominant auftreten, um nicht „aus der Rolle zu fallen“ und den Missmut von Kollegen, Studierenden, oder Kommissionsmitgliedern auf sich zu ziehen.

Geschlechtsrollenstereotype oder bestimmte Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit haben nicht nur einen Einfluss auf die Bewertung des Auftretens von Personen, sondern wirken sich auch auf die Wahrnehmung ihrer Fähigkeiten aus: Frauen werden bei gleicher Leistung oft als weniger kompetent bewertet. So zeigen Studien, dass ein und derselbe Lebenslauf wesentlich positiver bewertet wird, wenn er einen männlichen anstelle eines weiblichen Namens trägt. Eine Studie unter Studierenden der Wirtschaftswissenschaften hat nachgewiesen, dass weibliche Lehrkräfte von Studierenden systematisch schlechter evaluiert worden sind als männliche. Selbst identisches Lehrmaterial schnitt schlechter in der Bewertung ab, wenn die Lehrperson eine Frau war. Insgesamt ergibt sich ein eindeutiges Muster: Exzellenz, Intelligenz und Führungsqualitäten werden eher mit Männern als mit Frauen assoziiert; Frauen werden insgesamt tendenziell eher unterschätzt während Männer tendenziell eher überschätzt werden.

Fazit

Diese Überlegungen illustrieren, dass die akademische Philosophie einen Ort darstellt, an dem die „männlichen“ Eigenschaften intelligent, rational, fokussiert und durchsetzungsstark zu sein, die ohnehin in unserer Gesellschaft mit Erfolg, Prestige und Macht assoziiert sind, besondere Wertschätzung erfahren. Zusammen mit Faktoren, die spezifisch für die Philosophie sind (z. B. männlich dominierter Kanon) sowie solchen, die auch in anderen Bereichen zu Nachteilen für Frauen führen (z. B. Unterschätzung der Leistung) bildet sich der perfekte Sturm. Dadurch kann ein Klima entstehen, in dem Frauen von Männern als untergeordnet wahrgenommen werden, was sexualisierte Grenzüberschreitungen befördern kann.

Abschließend sind zwei Aspekte hervorzuheben. Erstens sind die genannten Effekte jeweils für sich genommen in einzelnen Situationen wahrscheinlich geringfügig. Sie verstärken sich jedoch wechselseitig und kumulieren sich über die Zeit hinweg, sodass sie durchaus geeignet sind, den Gender-Gap in der Philosophie zu erklären oder zumindest einen wesentlichen Beitrag zu dessen Erklärung zu leisten. Zweitens gilt es zu betonen, dass Genderstereotype bei Männern und Frauen wirken. Es geht hier also nicht um einseitige Schuldzuweisungen, sondern um die Schaffung eines Bewusstseins für die Problematik als Voraussetzung für das das Ergreifen entsprechender Gegenmaßnahmen.


Andrea Klonschinski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Forschungs- und Interessenschwerpunkte liegen in den Bereichen Philosophy & Economics und Feministische Philosophie. Außerhalb der Uni philosophiert sie gern über populäre Filme.


[*] Der Fokus auf heterosexuelle Frauen und Männer in diesem Beitrag soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die #Metoo-Problematik sich für Homosexuelle oder Trans*Personen zum Teil anders gestaltet. Siehe dazu etwa https://www.zeit.de/kultur/2018-03/metoo-feminismus-homosexualitaet-lesben-10nach8.

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