10 Apr

Interview mit Mari Mikkola (Oxford)

Mari Mikkola ist Tutorial Fellow, Somerville College und Associate Professor, Faculty of Philosophy, an der University of Oxford. Davor war sie Juniorprofessorin und Professorin für Praktische Philosophie an der Humboldt Universität Berlin. Sie ist Vorstandsvorsitzende von SWIP Germany.


prae|faktisch: Wieso wolltest Du Philosophin werden? Haben Deine Herkunft (lokal, sozial) oder bestimmte Erfahrungen Dich zur Philosophie oder zu bestimmten philosophischen Fragen gebracht?

Mari Mikkola: Ich glaube, ich wollte nie so richtig Philosophin werden! Eigentlich bin ich mehr oder weniger zufällig hier gelandet. Meine Herkunft hat meinen philosophischen Werdegang so gut wie gar nicht beeinflusst. Ich bin im kalten und dunklen Nord-Finnland aufgewachsen, ohne große intellektuelle Einflüsse. Meine Eltern sind nicht akademisch ausgebildet (oder waren damals nicht – heute hat meine Mutter einen Magisterabschluss) und sie sind ganz normale Menschen. Philosophische Fragen haben wir zu Hause oder auch in der Schule nie diskutiert.

War für Dich ganz klar, dass Du Philosophie studieren willst? Was wären gegebenenfalls die anderen Studienrichtungen oder Ausbildungswege gewesen, die Du in Betracht gezogen hättest?

Ursprünglich habe ich PPE (Philosophy, Politics und Economics) an der Uni York studiert. Dann kam Philosophie als ein Extra – sonst hätte ich Philosophie wahrscheinlich nie studiert. Langsam habe ich die anderen Fächer abgegeben und nur Philosophie ist übrig geblieben. An den Grund dafür kann ich mich nicht mehr erinnern… Nach meinem BA hatte ich eigentlich nicht vor, weiter Philosophie zu studieren. Mein damaliger Partner wollte einen MA in Sprachphilosophie in Sheffield machen, und ich bin eigentlich wegen ihm mit nach Sheffield gegangen, um auch dort einen MA in Philosophie zu machen. So viel Lust auf Philosophie hatte ich nicht. Während meines ersten Jahres in Sheffield wurde mir eine Promotionsstelle angeboten und da ich keinen richtigen Job haben wollte, entschied ich mich, eine Doktorarbeit zu verfassen. Wie gesagt: Zufall statt absichtliche Entscheidungen spielten eine große Rolle in meinem akademischen Werdegang.

Was würdest Du heute wahrscheinlich beruflich machen, wenn Du keine Philosophin geworden wärst? Wo würdest Du leben?

Ich habe wirklich keine Ahnung, was ich beruflich tun würde! Wahrscheinlich würde ich immer noch in Großbritannien leben. Im Gymnasium wollte ich Rechtswissenschaften studieren. Vielleicht wäre ich in einer anderen Welt Anwältin geworden. Andererseits war ich früher nicht so fleißig wie jetzt und hätte wahrscheinlich meine Staatsexamina nicht bestanden.

Gibt es Deiner Meinung nach signifikante Unterschiede zwischen der heutigen und Deiner Generation von Philosophiestudierenden? Und wenn ja, welche? Gibt es Unterschiede zwischen den Ländern, in denen Du gearbeitet hast?

Einen großen Unterschied sehe ich in den Erwartungen der Studierenden. Nach meinem BA-Studium kamen in Großbritannien heftige Studiengebühren und damit die Idee von Studierenden als „Kund_innen“. Viele Studierende im Großbritannien erwarten einfach einen guten Uni-Abschluss zu erhalten, ohne dafür wirklich arbeiten zu müssen, da sie schließlich für den Studienplatz bezahlen. So haben wir bzw. ich das Studium damals (Anfang/Mitte der 90er) gar nicht erlebt. In Deutschland habe ich diese Einstellung von Studierenden als „Kund_innen“ nicht erlebt. Dort studieren viele Philosophie noch aus reinem Interesse. Leider findet man solche Studierenden heutzutage in Großbritannien kaum.

Welchen Ratschlag würdest Du ambitionierten Studierenden oder Doktorand_innen geben, die eine akademische Laufbahn in Erwägung ziehen?

Ich habe meine erste unbefristete Stelle 12 Jahren nach der Promotion erhalten – und zwar in Oxford. Also alles ist möglich, auch wenn es manchmal trostlos aussieht!

Was waren aus Deiner Sicht die Highlights Deiner bisherigen akademischen Karriere?

Eine ordentliche Professur vor meinem 40. Geburtstag zu bekommen, das war ein langfristiger Traum von mir. Mit 39 Jahren habe ich es geschafft. Die Gründung der Society for Women in Philosophy Germany e.V. war auch ein großes Highlight – unsere Arbeit in den letzten fünf Jahren hat mir unglaublich viel gebracht. Wir haben vieles erreicht und ich bin sehr stolz auf den Verein.

Du sprichst SWIP Germany an. Auf der Homepage des Vereins veröffentlicht Ihr u.a. interessante Eigendarstellungen von Philosophinnen (auch von Dir selbst gibt es dort ein Porträt). Was wollt Ihr damit erreichen und was sind generell die wichtigsten Ziele des Vereins?

Allgemein dient SWIP Germany der Vernetzung von deutschsprachigen Philosophinnen, und setzt sich für Geschlechterparität und die Gleichstellung von Frauen* in der Philosophie auf allen akademischen Statusebenen ein. Unsere Aktivitäten erstrecken sich von Networking über die Organisation von Konferenzen und Tagungen, Recherche und Multiplikation von Informationen zu Frauen* in der Philosophie und Lobbying bis hin zur Zusammenarbeit mit anderen gemeinnützigen Organisationen im In- und Ausland. Da die Förderung der Kooperation von Frauen* in der Philosophie ein großes Vereinsziel ist, haben wir vor einigen Jahren mit dem Porträt-Blog angefangen, um die Sichtbarkeit von Philosophinnen* zu verbessern. Die Porträts funktionieren quasi als Werbung für die philosophische Arbeit von Frauen* (eine wurde schon wegen ihres Porträts gebeten sich für eine Stelle zu bewerben und hat die Stelle bekommen). Zusätzlich dazu haben wir die Philosophinnen-Liste: eine Datenbank von Philosophinnen*, die im deutschsprachigen Raum aktiv sind.

Du hast gerade einen großen Schritt auf eine Professur in Oxford gemacht. Was würdest Du in Hinblick auf Deine Karriere gerne noch erreichen oder umsetzen?

Keine Ahnung! Ich bin gerade in Oxford sehr glücklich – eigentlich habe ich derzeit keine großartigen Wünsche.

Welche Enttäuschungen hast Du im Laufe Deiner Karriere erlebt? Wie bist Du damit umgegangen?

Journal-Verfahren mit Peer Review verursachen unzählig viele Enttäuschungen. Zahlreiche Aufsätze von mir wurden von Journals abgelehnt, und damit umzugehen war früher sehr schwierig. Meine Strategie war erst zu weinen, dann Schnaps zu trinken. Aber am Ende muss man einfach immer weiter machen. Wie man auf English sagt: pick yourself up and dust yourself off!

Was würdest Du im Rückblick anders machen?

Nicht das Leben als Philosoph_in so stressig finden. Ich war früher viel zu aufgeregt und hätte damals irgendwann auch Urlaub machen sollten.

Was macht Dir in Deinem beruflichen Alltag am meisten Freude, was ärgert Dich?

Ganz überraschend bringt die Lehre mir am meisten Freude: in Oxford unterrichten wir kleine Tutorien-Gruppen mit ein oder zwei Studierenden. Diese Art die Lehre zu organisieren ist sehr sinnvoll und macht viel mehr Spaß als große Seminargruppen (50-100 Studierende), welche ich in Deutschland unterrichten musste.

Was ich ärgerlich finde, ist der Druck zu publizieren – und besonders wenn das Publizieren ein Selbstzweck wird. Als Fach produzieren wir vieles, was eigentlich wenig interessant und wichtig ist. Ferner finde ich es ärgerlich, wenn philosophische Kreativität bestehenden Journal-Normen geopfert werden muss. Ich mag klares, rigoroses Argumentieren, wie analytische Philosoph_innen es tendenziell praktizieren. Aber oft ist solches Argumentieren nicht mit Ideen- und Methodenreichtum kombinierbar, weil die Publikationslandschaft so eine Art von Kreativität nicht unterstützt.

An welchen philosophischen Themen würdest Du in Zukunft gerne arbeiten?

In meiner geplanten Forschung geht es um ideale und nichtideale Theorien. Diesen Unterschied möchte ich besonders in Bezug auf philosophische Methodologie untersuchen und thematisieren.  Allerdings muss ich zunächst ein Buch zur philosophischen Pornographie-Debatten fertigstellen, um das Buch noch im Jahr 2018 mit OUP veröffentlich zu können.

Welche Bücher oder Aufsätze sollte aus Deiner Sicht jede/r Philosoph_in gelesen haben und warum?

Ich denke, alle sollten Elizabeth Andersons Aufsatz  „Knowledge, Human Interests, and Objectivity in Feminist Epistemology” (Philosophical Topics, 1995) lesen. Der Aufsatz hat meine philosophische Arbeit sehr beeinflusst und inspiriert mich noch immer.

Welches Buch oder welchen Aufsatz von Dir selbst würdest Du jemandem zur Lektüre empfehlen, der oder die einen Einblick in Deine Arbeit bekommen möchte?

Ehrlich: keine! Ich hoffe immer, dass niemand meine Arbeit liest und vergesse, dass sie eventuell veröffentlicht wird… Ich denke noch immer ich, dass meine philosophische Arbeit nicht gut oder originell genug ist. Wenn jemand trotzdem einen Einblick in die feministische Philosophie oder feministische Metaphysik bekommen möchte, würde ich mein Buch The Wrong of Injustice: Dehumanization and its Role in Feminist Philosophy (OUP, 2016) und den Aufsatz “On the Apparent Antagonism between Feminist and Mainstream Metaphysics”, Philosophical Studies (2016) vorschlagen.

Wie siehst Du die Zukunft der Philosophie im deutschsprachigen Raum? Welche Trends begrüßt Du, welche siehst Du kritisch?

Wahrscheinlich kommt diese Antwort weniger überraschend, aber ich würde sehr begrüßen, wenn feministische Philosophie und Philosophy of Race in Deutschland prominenter würden.  Diesen Trend sehe ich zwar schon im deutschsprachigen Raum. Wir brauchen mehr Arbeiten zu diesen Themen, und besonders Texte auf Deutsch.

Welche Rolle kann und soll Philosophie in der Öffentlichkeit spielen? Sollte Philosophie bspw. ein Schulfach sein?

In Deutschland spielt Philosophie schon eine größere Rolle in der Öffentlichkeit als in Großbritannien – was ich gut finde. Philosophie sollte bei sozialpolitischen Fragen mehr Beachtung finden und nationale Räte (wie der Ethikrat) sollte Philosoph_innen als Mitglieder haben. Diese Themen wurden in der deutschsprachigen Philosophie schon thematisiert, in Großbritannien aber noch nicht ausreichend. Und im Rahmen unserer heutigen Politik und Zivilgesellschaft würde ich mir von Bürger_innen bessere analytische Fähigkeiten erhoffen. Philosophie könnte und sollte als „Bullshit-Filter“ eine große Rolle spielen. Das spricht für Philosophie-Unterricht in Schulen. Die analytischen und kritischen Fähigkeiten der Menschen müssen verbessert werden, und hier hat die Philosophie als Fach viel anzubieten.

Vielen Dank, Mari, dass Du Dir die Zeit genommen hast!

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