25 Apr

Only spenders

von Simon Derpmann (Münster)


Omar Little aus David Simons The Wire verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Ausrauben von Drogenhändlern in Baltimore, und er hat sein Handwerk gelernt. In allen Schichten des Drogenkosmos ruft das Pfeifen, mit dem Omar sich ankündigt, eine Mischung aus Furcht und Respekt hervor. Er unterscheidet sich von einem Großteil der Angehörigen dieses Kosmos, weil er eine Art öffentlicher Intellektueller des kriminellen Milieus ist. Als Omar eine Runde von Kriminellen beim Pokerspiel im Hinterzimmer einer Kneipe überfällt, bestiehlt er under anderem den aufstrebenden Drogenbaron Marlo Stanfield, der Omar mit der Warnung “That’s my money” versieht. Omar weist Stanfields Bemerkung mit einer lapidaren Antwort zurück: “Man, money ain’t got no owners. Only spenders.” Geld ist kein Eigentum.

Omars Punkt ist nicht, dass das Geld, das er zu rauben im Begriff ist, Stanfield aufgrund der kriminellen oder moralisch verwerflichen Umstände seiner Aneignung nicht zusteht, also in diesem Sinne nicht wirklich seines ist, und deshalb eigentlich immer noch anderen gehört. Sein Punkt ist außerdem nicht, dass in der tatsächlichen Verwendung von Geld nahezu niemand sich darum kümmert, ob Geld, das ausgegeben wird, tatsächlich der Ausgebenden gehört, weil Geld eben nicht nach der jeweils rechtmäßigen Eigentümerin riecht.

Die zum Ausdruck gebrachte These ist fundamentaler. Geld hat gar keine Eigentümerinnen. Kann er das Ernst meinen? Omars These, dass Geld niemandem gehört, sondern immer nur von jemandem ausgegeben wird, ist nicht zwingend als Versuch der Rechtfertigung seines Überfalls zu verstehen. Die Bemerkung ist auch nicht Ausdruck des annähernden Naturzustands in den verlorenen Vierteln einer durch postindustrielle Fliehkräfte aufgeriebenen Stadt, in denen sich diejenigen durchsetzen, die sich zur richtigen Zeit auf der richtigen Seite einer geladenen Schusswaffe vorfinden. Es ist hier zunächst keine analytische Einsicht zur Natur des Geldes oder des Eigentums zu vermuten. Allerdings lässt sich argumentieren, dass die Pointe der Antwort auf Stanfield deshalb sitzt, weil sie einen wahren Kern hat, und insofern tatsächlich etwas über die Beschaffenheit von Geld zum Ausdruck bringt.

Bei dem, was diese These besagt, handelt es sich offenkundig um keine Kleinigkeit. Denn die Leugnung des Vorliegens von Eigentum an Geld – nicht nur der Eigentumsansprüche bestimmter Personen an bestimmtem Geld, sondern geldbezogenen Eigentums überhaupt – negiert eine Grundsäule der der marktwirtschaftlichen Ordnung. Es ist eine fundamentale Vorannahme dieser Ordnung, dass wirtschaftliche Subjekte über Geld verfügen, es ausgeben, sparen oder investieren können, weil es sich um ihr eigenes Geld handelt. Ohne diese Möglichkeit ist die Koordination wirtschaftlichen Handelns über Märkte nicht denkbar. Zumindest scheint es unmöglich, eine geldvermittelte Transaktion, wie etwa den Kauf einer Ware oder die Begleichung der Rechnung für eine Dienstleistung, vorzunehmen, ohne dass dabei im Gegenzug zur Übertragung des Eigentums an der Ware oder zur Erbringung einer Leistung, Eigentum an Geld übertragen wird. Eine Person, die Geld als das ihrige versteht, bringt damit implizit zum Ausdruck, dass sie über dieses Geld in der Art verfügen kann, wie sie auch über Eigentum anderer Art verfügen kann, d.h. es nach ihren Vorstellungen veräußern, verleihen, verschenken, verwahren, verwerfen, etc. Nur so ergibt das Possesivpronomen in Thats my money! Sinn.

Diese normative Perspektive auf das Geld, oder die Negation eines bestimmten normativen Anspruchs, ist deshalb besonders aufschlussreich, weil sie sich von anderen Formen der Kritik geldvermittelter Verhältnisse unterscheidet. Die meisten moralischen Abhandlungen über Geld befassen sich mit seinen Auswirkungen. Geld wird innerhalb ökonomischer, soziologischer oder philosophischer Theorien der Wirtschaft als Institution begriffen, die tiefgreifende soziale Veränderungen auslöst. So wird argumentiert, dass erst in Form des Geldes wirtschaftlicher Wert um seiner selbst Willen angestrebt werden kann, dass Geld gesellschaftliche Ungleichheiten hervorbringt, oder dass Geld außerwirtschaftliche Lebensbereiche usurpiert und besondere soziale Beziehungen in rein ökonomische Verhältnisse verwandelt. Omar bringt eine diesen Implikationen der Geldwirtschaft vorgeordnete Beobachtung zur Natur des Geldes zum Ausdruck, die sich auf die Frage richtet, ob etwas an der Beschaffenheit von Geld dagegen spricht, es als persönliches Eigentum zu begreifen.

Dass Omars Zurückweisung des Eigentums an Geld so sonderbar anmutet, liegt womöglich daran, dass unser Umgang mit Geld durch eine verdinglichinde Ideologie geprägt ist. Wir begreifen Geld oftmals als Zeug, aber nicht als dasjenige, was es eigentlich ist: eine soziale Relation.

Es gibt gute Argumente, Geld weder als Ware, noch als Symbol im Sinne eines Repräsentanten sachlicher Werte zu begreifen. Eine alternative Beschreibung, die vor allem aus Erkenntnissen der Ethnologie und Soziologie gewonnen ist, verdeutlicht, dass Vorkommnisse der sozialen Organisation des ökonomischer Transaktionen über Geld in Form von Schuldverbuchungen vollzogen werden können, in denen Geld zwar als Verbuchungseinheit und Zahlungsinstrument, aber ohne jegliche Deckung durch eine Ware vorliegt. Ein paar Beispiele, die inzwischen zum Standardmobiliar ernstzunehmender Geldtheorien zählen, verdeutlichen, den besonderen sozialen Charakter des Geldes. Das Steingeld auf der Insel Yap im westlichen Mikronesien, zwischen Palau und Guam gelegen, das von William Furness zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts beschrieben wird, verdeutlicht diesen Punkt. Zwar liegt Geld hier in sachlicher Form vor. Die als Geld dienenden massiven Steinscheiben, die von benachbarten Inseln importiert werden mussten, und nur schwer beweglich sind, werden nicht im engeren Sinne getauscht. Die Begleichung einer Schuld erfolgt vielmehr in Form der allgemeinen Anerkennung der Tatsache, dass ein bestimmter Stein in das Eigentum einer anderen Person übergegangen ist. Nicht die Übertragung eines Wertvollen Gegenstands, sondern die Verbuchung eines Anspruchs in einer kollektiven Praxis der Buchhaltung scheint entscheidend für die hier vorgenommene Geldleistung. Bei dem Steingeld handelt es sich nicht um eine Kuriosität, sondern um ein Exemplar unter unzähligen der Geldgeschichte, in denen dasselbe Grundprinzip zum Vorschein kommt. Sei es in antiken Keilschriftstelen, mittelalterlichen Wechselbriefen, Kerbhölzern, Schuldscheinen, Banknoten oder Giralkonten.

Die Geldwirtschaft bedarf ebenso wenig des Goldes oder der Münzen, wie das Schachspiel der Figuren. Geld ist eine besondere öffentlich gedeckte und daher transferierbare Relation von Anspruch und Kredit. Dies stützt womöglich die eingangs formulierte These, dass es kein genuines Eigentum an Geld gibt, insofern es kein genuines Eigentum an sozialen Relationen gibt. Diese Charakterisierung genügt allerdings nicht zur Zurückweisung von Eigentumsansprüchen an Geld. Denn, dass es einige Relationen und Ansprüche gibt, die zumindest kein vollständiges Eigentum sind, insofern sie nicht veräußerbar sind, bedeutet nicht, dass dies auch für Geld gild. Unzählige soziale Ansprüche werden als Eigentum auf Märkten gehandelt, nicht nur in der Form ausgeklügelter Finanzinstrumente, sondern auch in der Form von Bahnfahrkarten, Theaterabos, Versicherungspolicen, Lizenzen, Aktien, Patenten, Verwertungsrechten, hypothekenbesicherten Wertpapieren oder Kaufoptionen. Anstatt bloß auf die Relationalität des Geldes zu verweisen, müssen wir zeigen, dass die Geldrelationen, die in Banknoten oder Buchungssätzen festgehalten werden, keine rein privaten Relationen sind.

Der Prozess der Krediterzeugung durch moderne Banken zeigt, dass Geld unabhängig von einer Geldware ‘produziert’ werden kann, indem Banken Zahlungsversprechen ausstellen, die nur zum Teil durch realökonomische Größen oder Reserven gedeckt sein müssen. Dieser Mechanismus führt letztlich dazu, dass Zahlungsversprechen der Bank oder die Bestätigung von bei ihr verbuchten Guthaben wie Geld – oder besser gesagt: als Geld – zu gebrauchen sind. Gegenwärtig sind Banken keineVermittler eines gegebenen Geldbestandes, sondern Banken erzeugen Geld ‘out of thin air’. Sie können dies aber nur, weil es eine öffentliche Sicherung der Verlässlichkeit der Währung gibt, in der Banken Kreditversprechen ausstellen, und weil ein gesellschaftliches und rechtliches System der Sicherung auch diese Versprechen deckt. Kreditschöpfung durch Banken ist demnach kein privates Unternehmen, sondern ein gesellschaftliches Privileg in einem für Geld konstitutiven sozialen Rahmen.

Wenn an Omars Bemerkung etwas dran ist, dann insbesondere hinsichtlich des Anspruchs, Geld ohne Restriktionen und Regulierungen auszugeben, zu investieren und anzuhäufen, insofern dieser über das private oder persönliche Eigentum an Geld begründet wird. Wenn die Rede von persönlichem Eigentum an Geld aufgrund seiner partiell öffentlichen Konstitution nur eingeschränkt sinnvoll ist, dann trifft dies ein grundlegendes Argument für den prima facie bestehenden Anspruch der freien Verwendung von Geld. Wer sich darüber beschwert, dass die Regulierung von Geldmärkten, die Besteuerung von Geldvermögen oder inflationäre Geldpolitik einen Eingriff in das Privateigentum bedeutet, ist dann dem Vorwurf ausgesetzt, einem Missverständnis bezüglich der Beschaffenheit von Geld aufgesessen zu sein. Hierdurch eröffnen sich normative Argumente für die Regulierung von Kreditmärkten oder etwa für die Separation der tauschenden, investierenden und spekulierenden Verwendung von Geld. Das ist aber sicher nicht mehr das Thema des Hinterzimmers der Kneipe, in der Marlo Stanfield ausgeraubt wird. Belassen wir es dabei, Omar Littles Behauptung, dass Geld kein Eigentum ist, den Anschein der Absurdität genommen zu haben.


Simon Derpmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Münster. Wirtschaftsphilosophie und insbesondere Fragen der Philosophie des Geldes sind eine vornehmlichen Forschungsgebiete.

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