17 Mai

Nationalspieler als Soldaten

von Norbert Paulo (Salzburg und Graz)


Eigentlich wollten wir den Fußball-Themenblock ja erst beginnen, wenn die Saison mit dem Finale der Champions League beendet ist und endlich die Weltmeisterschaft in Russland vor der Tür steht. Aber nun liefern die Reaktionen auf ein Treffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit drei in Deutschland geborenen Fußballern mit türkischer Familiengeschichte eine Steilvorlage, die man, um in der Fußballsprache zu bleiben, nur noch erlaufen, annehmen und einschieben muss. Das bei dem Treffen entstandene Foto, das die AKP verbreitet hat, hätte wohl so oder so für Aufregung gesorgt. Dass in der Türkei eine Wahl bevorsteht, hat die Sache nun aber noch verschärft. „Deutsche Fußballer lassen sich für den Wahlkampf eines ausländischen Quasi-Diktators benutzen!“ – so oder so ähnlich lautet der Vorwurf. Besonders heftig wird er an die zwei beteiligten deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan gerichtet.

Der Grünen-Politiker Özdemir erinnerte umgehend an eine scheinbar klare Tatsache: „Der Bundespräsident eines deutschen Nationalspielers heißt Frank-Walter Steinmeier, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und das Parlament heißt Deutscher Bundestag. Es sitzt in Berlin, nicht in Ankara.“ Ganz ähnlich klang das bei der AfD und der Partei Die Linke. Soviel Einigkeit herrscht selten. Gucken wir aber genauer hin, so stellen wir fest, dass zumindest Gündogan auch türkischer Staatsbürger ist. Sein Bundespräsident heißt also Steinmeier. Er hat aber noch einen Präsidenten, nämlich den in Ankara. Warum darf er sich also nicht für den Wahlkampf „seines“ Präsidenten Erdogan einspannen lassen? Dürfte er das etwa auch nicht, wenn Angela Merkel zum Fototermin ins Kanzleramt einlädt oder sie die Nationalmannschaft mal wieder öffentlichkeitswirksam in der Kabine besucht? [Edit: inzwischen hat sich herausgestellt, dass Gündogan tatsächlich nicht mehr türkischer Staatsbürger ist.]

Aber vielleicht geht es ja doch nicht darum, dass die Spieler sich mit einem nicht-deutschen Politiker im Wahlkampf haben ablichten lassen, sondern darum, dass es gerade Erdogan war. Schließlich ist das Verhältnis zwischen der deutschen und der türkischen Regierung ziemlich angespannt. Und so lautete denn auch die Mahnung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung (was hat die qua Amt eigentlich damit zu tun?), Annette Widmann-Mauz (CDU), die Spieler hätten sich entsprechend der DFB-Kampagne „Wir sind Vielfalt“ zu verhalten, die für mehr Toleranz und Respekt werbe. Von DFB-Präsident Reinhard Grindel (CDU) lernen wir Folgendes: „der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdogan nicht hinreichend beachtet werden.“ Auch bei Nationaltrainer Joachim Löw heißt es: „Wenn man für Deutschland spielt, vertritt man das Land und die deutschen Werte.“ Wir lernen also, dass deutsche Nationalspieler auf und abseits des Platzes für deutsche Werte einzustehen haben. Und dass zwischen Erdogan und diesen Werten – sagen wir grob: die des Grundgesetzes – eine gewisse Diskrepanz besteht, möchte ich hier gar nicht anzweifeln. (Auch der DFB ist in jüngerer Vergangenheit nicht eben durch Werteverbundenheit aufgefallen.)

Aber denken wir mal nur einen kleinen Schritt weiter: Was würden wir von den Nationalspielern verlangen, wenn eine künftige Bundesregierung diese Werte nicht vertritt? Sollen die Spieler dann öffentlich protestieren, wie es in den USA im Protest gegen Präsident Trump teilweise passiert ist? Oder erwarten wir, wie Trump, doch Patriotismus und blinden Gehorsam, solange es eben die „richtige“ Regierung ist? Ich muss wohl nicht daran erinnern, dass gegenwärtig in Österreich eine rechtspopulistische Partei mitregiert, die nicht im Verdacht steht, Toleranz und Respekt zu fördern. Und auch Deutschland, die Schweiz, Italien, Frankreich, die Niederlande und viele andere europäische Staaten haben nicht unerhebliche Anteile an Wahlstimmen für populistische Parteien zu verzeichnen, die gerade nicht Toleranz und Respekt auf ihren Fahnen tragen. Es ist eine Frage der Zeit, bis weitere davon in die jeweilige Regierung kommen.

Einmal angenommen, wir würden im Fall einer AfD-Bundeskanzlerin tatsächlich erwarten, dass sich die deutschen Nationalspieler auf die Werte der DFB-Kampagne „Wir sind Vielfalt“ berufen und Fototermine mit ihr vermeiden. Warum verlangen wir eigentlich nicht gleiches von denen, die die Bürgerinnen und Bürger in Parlamenten vertreten oder gar in Regierungen sitzen? Die haben immerhin einen Eid auf das Grundgesetz abgelegt. Die CSU darf sich aber genauso werbewirksam mit Viktor Orban (den ich hier mal als politisch mit Erdogan vergleichbar ansehe) treffen, wie es die österreichische Regierung tut. Und die CSU stellt sogar den Heimatminister. Der sollte doch eigentlich ganz besonders die Werte des deutschen Grundgesetzes vertreten, die in Ungarn momentan nicht ganz so hoch im Kurs stehen. Wie kommt es also, dass wir von Nationalspielern in Bezug auf nationale Werte sogar mehr erwarten, als von den aufs Grundgesetz vereidigten Politikern und Politikerinnen?

Die Nationalspieler, die zwei Nationen (im kulturellen Sinn) angehören, passen nicht gut in die gedanklichen Schubladen. Einige von ihnen haben zwei Pässe und gehören also auch rechtlich zwei Staaten an. Andere haben nur den deutschen Pass, ihre Vorfahren gehören (teilweise) aber einer anderen als der deutschen Nation an. Es gibt nicht allzu viele Bereiche, in denen diese doppelte nationale Zugehörigkeit zu Spannungen führt. Einer davon ist aber eben der Sport: Beim Fußball hört der Spaß auf. Wer ein sogenanntes A-Länderspiel – also im Erwachsenenbereich – für ein Land gemacht hat, darf nie mehr für das jeweils andere Land, dessen Staatsangehöriger er immerhin auch ist, auflaufen. Und selbst wenn sich die Spieler im Fußball für ein Land entschieden haben, stehen sie unter besonderer Beobachtung: Singt er auch die Nationalhymne inbrünstig mit? Kämpft er wie ein echter Deutscher? Das sind Fragen, die Thomas Müller nie wird beantworten müssen, die Özils und Gündogans aber sehr wohl. Und das, obschon beide einen deutschen Pass haben.

Der andere Bereich, in dem die doppelte nationale Zugehörigkeit zu Spannungen führt, ist übrigens das Militär. In § 28 des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes heißt es: „Ein Deutscher, der auf Grund freiwilliger Verpflichtung ohne eine Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung oder der von ihm bezeichneten Stelle in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, eintritt, verliert die deutsche Staatsangehörigkeit.“ Den Reaktionen auf das Bild der Fußballer mit Erdogan nach zu urteilen, wären nicht wenige dafür, dass Staatsangehörigkeitsrecht um einen Verlusttatbestand zu erweitern. Etwa so: § 28a: „Ein Deutscher, der auf Grund freiwilliger Verpflichtung ohne eine Zustimmung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat oder der von ihm bezeichneten Stelle einen politischen Wahlkampf eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstützt, verliert die deutsche Staatsangehörigkeit.“


Norbert Paulo ist Post-Doc am Institut für Philosophie der Karl-Franzens-Universität Graz und am Fachbereich für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Salzburg. Außerdem ist er Fellow des „jungen ZiF“ am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF, Universität Bielefeld).

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