20 Jul

Verdammt(e) Gefühle!? Vorschläge gegen Indifferenz und Gleichgültigkeit

Von Peggy H. Breitenstein (Jena)


Etwa zeitgleich mit Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus haben sich eigentümlich widersinnige Reden im politischen Diskurs eingenistet: Paradoxe Formulierungen wie „alternative Fakten“, „postfaktische Politik“, „Postwahrheit“ zeigen ernsthafte Zweifel darüber an, dass über Tatsachen und Tatsachenwahrheiten eigentlich nicht gestritten werden kann. Zugleich wird diesem Zweifel auch vehement widersprochen. Dabei jedoch geraten immer wieder die Gefühle bzw. Emotionen in den Fokus, wird ihnen doch die Schuld an der Verwirrung zugeschrieben. Das Politische werde „emotionalisiert“ und Wahrheiten nur noch „gefühlt“, heißt es. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der eigentliche Fehler im Intellekt selbst liegt: im Versäumnis, begrifflich sorgfältig und verantwortungsvoll zwischen Meinung, Tatsachen und Tatsachenwahrheiten zu unterscheiden.

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31 Dez

Zwanzig-zwanzig mit Lacan

Ein Versuch über die Drei Register

Von Frank Wörler


In der Frage, wie wir unsere Welt wahrnehmen und damit mindestens ein Stück weit konstituieren, scheint sich heute die Lage zu verkomplizieren. Durch die Massenmedien und, in einem zweiten Schritt, die Sozialen Medien vervielfachen sich die möglichen Ebenen der Repräsentation. Während die Erkennbarkeit des Dings an sich mal eine philosophische Frage war, sind wir über die phänomenologische Ebene, über das Eingeständnis der Vorläufigkeit von Erkenntnis heute an einen Rand getreten – den Rand eines tiefen Kraters der Verunsicherung, vom ‚User’ der Social Media beherzt als Möglichkeit der freien Entfaltung verstanden.

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11 Jul

Ausnahmezustand und Verfassung: Sind die Corona-Demonstranten die wahren Verfassungspatrioten?

Von Lena Güldner (München)

„Wir sind das Volk.“ Dieser altbekannte Schlachtruf ertönt seit Kurzem wieder häufig in Deutschland und zwar im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen die gegenwärtigen Maßnahmen zur Eindämmung von Corona. „Wir sind das Volk“: ein Ausruf, der durch seine historische Bezugnahme auf die Montagsdemonstrationen in der DDR gleichsam eine gerechte Auflehnung gegen den totalitären Unterdrückungsstaat, eine demokratische Bewegung als Bekenntnis und Kampf zu liberalen Freiheitsrechten impliziert. Das ist es auch, was sich viele Teilnehmer*innen der Protestbewegungen zumindest offiziell auf die Fahne schreiben. So heißt es auf dem YouTube Kanal der Initiative Querdenken 711Wir sind für das Grundgesetz“ und auch die Vereinigung Demokratischer Widerstand titelt auf ihrer Webseite: „Demokratischer Widerstand für Verfassung, Grundrechte & transparente Gestaltung der neuen Wirtschaftsregeln durch die Menschen selbst“. Es scheint sich um besorgte Bürger*innen zu handeln, die Prinzipien des Grundgesetzes verletzt sehen und sich in ihren Bürgerrechten unrechtmäßig eingeschränkt fühlen. Doch spätestens seit den Pegida-Demonstrationen ab Oktober 2014 ist „Wir sind das Volk“ nicht mehr ausschließlich positiv konnotiert. Denn dort nutzten Extremist*innen diese Parole, um unter dem Deckmantel der Demokratie ihre rechte Propaganda zu verbreiten. Dass dies auch bei den bei den aktuellen Demonstrationen gegen die Anti-Corona-Maßnahmen der Fall ist, scheint durchaus eine Möglichkeit. Nun stellt sich die Frage, ob und inwiefern sich sich die Demonstrationen mit einer verfassungspatriotischen Grundhaltung rechtfertigen lassen: Wären wir als wahre Verfassungspatrioten vielleicht sogar gezwungen, im Angesicht massiver Grundrechtsbeschränkungen aufgrund von Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 unsere demokratischen Prinzipien und Bürgerrechte aktiv zu verteidigen? Oder, anders gefragt: Unter welchen Bedingungen dürfen wir aus einer verfassungspatriotischen Gesinnung heraus gegen die Einschränkungen demonstrieren? Ich werde im Folgenden zunächst den Begriff Verfassungspatriotismus kurz darlegen, anschließend über die Legitimität von Demonstrationen sprechen und zuletzt zwei Kriterien skizzieren, wann die aktuellen Proteste als verfassungspatriotisch gelten können.

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10 Mai

Expertenherrschaft oder Wissenschaftskommunikation? Wissenschaftliche Politikberatung in Zeiten der Corona-Krise

Von Alexander Reutlinger (München)

Was ist die Rolle von Wissenschaftler/innen in der Corona-Krise? Sie beraten Politiker/innen, lautet die schnelle Antwort. Aber was bedeutet das genau? Und ist das überhaupt eine demokratisch legitimierte Aufgabe für Wissenschaftler/innen? Es gibt Stimmen, die Bedenken äußern: Haben Wissenschaftler/innen die gewählten Volksvertreter/innen unrechtmäßig ersetzt? Diese Befürchtung legt z.B. die provokante Frage „Ist das unser neuer Kanzler?“ (in Die Zeit) in Bezug auf den Virologen Christian Droste nahe. Ganz ähnlich gelagert werden auch mediale Äußerungen von Wissenschaftler/innen kritisch reflektiert: Beraten Wissenschaftler/innen lediglich, wenn sie in ihrer Rolle als Wissenschaftler/innen beispielsweise öffentlich verkünden, sie seien ganz klar für die Maskenpflicht? Diese und weitere Bedenken werfen eine politische Frage auf, die im Zentrum der Corona-Krise steht: Wo hört eine durch wissenschaftliche Expertise gerechtfertigte Beratung auf? Wo fängt eine demokratisch nicht mehr legitimierte Einmischung in die Regierungspolitik an?

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01 Mai

Corona vs. Rationalität – zum Umgang mit Unvernünftigen

Von Timo Greger (München)

„Charakter zeigt sich in der Krise“ – dieses von Altkanzler Helmut Schmidt stammende Zitat reift in Zeiten der Corona-Krise zum Bonmot. Treffend fasst es zusammen, was man deutschlandweit in den vergangenen Wochen reichlich beobachten konnte: Corona-Partys trotz Versammlungsverbot, Massenansammlungen in den Biergärten, Flussufern und Parks dieses Landes, geflutete Baumärkte, die in Zeiten des social distancing zu wahren Freizeitparks mutieren, unsolidarische und irrationale Hamsterkäufe von Nudeln und Toilettenpapier oder Jugendliche, die wohl scherzhaft gemeint mit „Corona“-Rufen ältere Menschen anhusten. Würde man nicht gleichzeitig so viele zahlreiche von Solidarität und Empathie getragenen Handlungen wahrnehmen, wie bspw., dass gerade jüngere Menschen für ihre älteren Nachbarn die Einkäufe übernehmen, den Hund ausführen oder tatkräftig ihre Unterstützung im Gesundheits- und Sicherheitsbereich anbieten, so müsste man wohl mit Helmut Schmidt weiterdenken: Deutschland, ein Volk von Charakterlosen.

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04 Feb

Post-Privacy oder Datenschutz als neuer Megatrend? Sinn und Wert der Privatheit

von Anne Siegetsleitner (Innsbruck)


1. Post-Privacy oder Privatheit als neuer Trend?

Vielen gelten heute Begriffe wie „privat“, „Privatsphäre“ oder „Privatheit“ als abgenutzt. Manche bedauern dies, andere halten die damit verbundenen Ideen ohnehin für altmodisch und „sowas von Eighties“, wie Julia Schramm, eine Vertreterin der Post-Privacy-Fraktion, in einem Spiegel Online-Interview (https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/internet-exhibitionisten-spackeria-privatsphaere-ist-sowas-von-eighties-a-749831.html) meinte. Tatsächlich haben diese Ausdrücke und die damit verbundenen Vorstellungen schon bessere Zeiten gesehen. Fest steht: In den medialen Fokus gerieten Fragen nach dem Umgang mit Privatheit in den vergangenen Jahren vor allem im Zusammenhang mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Vor einigen Jahren sorgten die Enthüllungen Edward Snowdens über die Überwachungspraktiken der US-amerikanischen NSA (National Security Agency) und verbündeter Geheimdienste für Aufmerksamkeit, in jüngster Zeit tritt Chinas Sozialkreditsystem in den Fokus. Zu ähnlichen grundlegenden Verwerfungen führt der Umgang mit Privatheit in Sozialen Medien.

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02 Jul

Der programmierte Mensch: Smarte Anwendungen, Gamification und die Beeinträchtigung menschlicher Autonomie. Ein Appell

von Moritz Dittmeyer (München)

Über Potenziale und Risiken der voranschreitenden Digitalisierung unserer Gesellschaft wird viel diskutiert: Es geht um Transhumanismus, um Cyborgs, um die Überwindung oder gar um die Unterwerfung des Menschen und um Künstliche Intelligenzen, die über sich hinauswachsen und sich verselbstständigen. Vollkommen zurecht fragen wir uns, welchen Einfluss digitale Technologien auf die conditio humana haben und was davon zu halten ist, wenn mit uns interagierende Maschinen und Systeme immer intelligenter und uns Menschen damit immer ähnlicher werden. Kurz, wir fragen uns was passiert, wenn die Maschinen zu Menschen werden?

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18 Dez

Ist Donald Trump ein Lügner? Fake News, Lügen und Bullshit

von David Lanius (Karlsruhe) & Romy Jaster (Berlin)

 

Wenn das Thema auf Fake News kommt, dauert es nicht lange bis der Name des US-Präsidenten fällt. Donald Trump ist eine unerschöpfliche Quelle von Fake News. Wie kein Zweiter nutzt er die neuen Medien, um Falschheiten und Irreführungen in die Welt zu setzen. Denken wir nur an seine Tweets über steigende Mordraten, vergewaltigende Mexikaner, Chinas Erfindung des Klimawandels, die Besucherzahlen seiner Amtseinweihung oder massenhaften Wahlbetrug zugunsten seiner Rivalin Hillary Clinton. Trumps Behauptungen in den sozialen Medien umfassen inzwischen Tausende nachweisbarer Falschaussagen. Derart lax ist sein Umgang mit der Wahrheit, dass Journalisten in Washington verzweifeln. Einer äußerte sich dazu mit den inzwischen geflügelten Worten: „Das ist es, was es so schwierig macht, über Trump zu berichten: Was meint er, wenn er Worte sagt?”

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01 Nov

Aufklärung, Wissenschaft und „post-truth politics“: Viele Fragezeichen und einige Ausrufezeichen

von Konrad Ott (Kiel)


Als vor Jahresfrist in Russland mehrere Hundert Demonstranten festgenommen wurden, kommentierte der Präsident der Duma, W. Wolodin, dieses Ereignis mit folgenden Worten: „Auf den Straßen Europas löst die Polizei täglich Demonstrationen noch härter auf als dies die russische Polizei tue“ (so die FAZ vom 28. März 2017, S. 1). Meine erste Reaktion war: „Das stimmt nicht, das ist nicht wahr“. Meine zweite Reaktion war: „Naja, ein weiteres Beispiel von ‚post-truth politics‘“. Meine dritte Reaktion: „Oh, ich fange an, mich daran allmählich zu gewöhnen!“. Seither ist es eher noch schlimmer geworden; die Präsidentschaft Trumps ist aber nur die sichtbare Spitze des Eisbergs.

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13 Sep

Die Fakten allein werden es nicht richten. Über politisch motivierte Ablenkungsmanöver und was aus ihnen folgt.

von Johann Maria Himmelstoß (Bürger, München)


In den Diskussionen über das Postfaktische wird oft ignoriert, dass die Lösung vieler Probleme bzw. Fragen von den Fakten unterbestimmt bleiben. Die Fakten allein werden es in solchen Situation nicht richten, d.h. die zur Diskussion stehende Frage nicht lösen können.

Diese Unterbestimmtheit kann durch Ablenkungsmanöver, durch rhetorische Nebelkerzen, von denen ausgenutzt werden, die nur so tun, als wären sie an einer offenen Debatte interessiert. Darum geht es in diesem Beitrag.

Als Beispiel dient eine Diskussion über Rechtsextremismus. Es wird gezeigt, dass durch ein Ablenkungsmanöver zeitgleich vom zur Debatte stehenden Problem wie auch von den relevanten Wertentscheidungen im Hintergrund abgelenkt wird. Der Beitrag schließt mit Überlegungen darüber, wie man solchen Ablenkungsmanövern begegnen kann und warum es sich trotzdem lohnen kann z.B. „mit Rechten zu reden.“

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