01 Jul

Querfühlen statt Querdenken? Tocqueville zu Solidarität, Gemeinsinn und Individualismus in Zeiten von Corona

Von Sarah Rebecca Strömel (Regensburg)


Die QuerdenkerInnen-Bewegung ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Woche für Woche reklamieren ihre VertreterInnen das kritische Denken und das Hinterfragen der Entscheidungen von etablierten PolitikerInnen für sich. Von Personen, die ihren Unmut über die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zum Ausdruck bringen möchten, über generelle ImpfgegnerInnen bis hin zu strikten Leugnern der Existenz eines Coronavirus, VerschwörungstheoretikerInnen und nationalistischen Akteuren, die jede Gelegenheit nutzen, ohne Maske und Abstandsregel ihre Parolen schwingen zu dürfen, ist alles dabei. Der folgende Text möchte zeigen, was Alexis de Tocqueville – kritischer Analytiker der Demokratie – zum Zusammenhang von Emotionen im Kontext des Politischen und dem Erstarken der QuerdenkerInnen-Bewegung beizutragen hat.

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05 Jun

Wie sich in der Impfpriorisierung die (fehlende) Wertschätzung gesellschaftlicher Rollen zeigt

Von Christiana Werner (Duisburg-Essen)


Obwohl die Entwicklung der verschiedenen Impfstoffe gegen das Coronavirus ein wichtiger Schritt war und Anlass zur Hoffnung gibt, ist die Verteilung des Impfstoffs nicht unproblematisch. Ein großes Problem ist die internationale Verteilung des Impfstoffs. Ein weiteres Problem, mit dem ich mich hier beschäftigen möchte, ist die Verteilung auf nationaler Ebene. Ich beziehe mich mit meinen Überlegungen auf die Situation in Deutschland.

An der Entscheidung der Impfpriorisierung waren bzw. sind Gremien auf Bundes-, Landes- und Kreisebene beteiligt, so dass es bei der Frage, wer den Impfstoff schon bekommen kann und wer nicht, durchaus auch zu regionalen Unterschieden kommen kann. Bei der Festlegung der Priorisierungen wurden medizinische Kriterien berücksichtigt. Klar ist aber, dass nicht nur medizinische Kriterien berücksichtigt wurden.

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19 Mai

Zeiten der Pandemie – Zeiten der Improvisation?

Von Claus Beisbart (Bern)


Die Pandemie hat so manchen Plan durchkreuzt. Einige halten daher das Improvisieren für angesagt und ziehen eine Parallele zur künstlerischen Improvisation. Doch ein genauerer philosophischer Blick zeigt: Was wir in Zeiten der Pandemie tun, kann zwar aus einer langfristigen Zeitperspektive als Improvisieren gelten. Doch im Detail geht künstlerische Improvisation anders.

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18 Mai

Integrität im Anthropozän

Von Stefan Knauß (Halle & Erfurt)


Corona und Anthropozän

Als Anthropozän wird das gegenwärtige Erdzeitalter bezeichnet, das durch die massive, menschengemachte Veränderung natürlicher Ökosysteme gekennzeichnet ist (Crutzen und Stoermer 2000). Naturwissenschaftler sprechen von einer „Geologie der Menschheit“ (Crutzen 2002). Sie gehen davon aus, dass die Menschheit spätestens seit der industriellen Revolution zu einer den Planeten prägenden „Naturgewalt“ geworden ist. Menschliche Handlungen werden als Ursache der globalen Erwärmung, eines beispiellosen Artensterbens und der rasanten Ausbreitung von Krankheiten betrachtet. Die Veränderungen der natürlichen Rahmenbedingungen wirken u. a. durch Waldbrände, Überschwemmungen, Hitze- und Dürreperioden auf das menschliche Wohlergehen zurück. Mensch und Natur im Zusammenhang zu betrachten und die Rückkopplungsschleifen in den Blick zu nehmen, die sich aus den größtenteils nicht-intendierten Folgen menschlicher Handlungen und den komplexen Dynamiken einer als System begriffenen Erde ergeben, ist gewissermaßen das Markenzeichen des Anthropozäns.   

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12 Mai

Alle zusammen oder jeder allein? Der Wert von (un)einheitlichem Handeln in unsicheren Zeiten

Von Moritz Schulz (Dresden)


In diesen Tagen verabschiedet die Bundesregierung ein Gesetz, dass die Länder in einigen Aspekten der Pandemiebekämpfung zu einheitlichem Handeln verpflichtet. Wann und warum ist einheitliches Handeln eigentlich wünschenswert? Dieser Beitrag soll zeigen: ob (un)einheitliches Handeln gut oder schlecht ist, hängt stark vom Ausmaß der Unsicherheit ab. Bei großer Unsicherheit verspricht uneinheitliches Handeln einen Zuwachs an Informationen. Umgekehrt gilt aber auch: je besser man Bescheid weiß, desto mehr spricht für einheitliches Handeln.

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11 Mai

Covidologisches Zupfen

Von Martin Krohs (Berlin)


Warum sind die Debatten um die Covid-Maßnahmen so rabiat, gerade die virtuellen? Auf facebook und twitter, in den Foren und Kommentarspalten bestimmen Verachtung, Überheblichkeit, Hass und Häme den Ton. Lockdown oder Öffnung, Zero Covid oder mit dem Virus leben? Ziel der Auseinandersetzung ist nicht so sehr, den anderen zu überzeugen, sondern eher dessen knock-out. Das ist nicht nur schmerzhaft anzusehen, es hilft auch bei der Bewältigung der Pandemie nicht weiter.

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15 Apr

Warum wir nicht sagen, was wir denken… Gedanken zur Toleranz in Zeiten von Corona

Von Oliver Hidalgo (Regensburg)


Vor einiger Zeit wurde ich gefragt, ob es legitim sei, bei einem Report über Islamfeindlichkeit mitzuschreiben, der von der Erdoğan-nahen Stiftung Seta finanziert wird. Und obwohl ich das keinem raten würde, beschäftigt mich seither die Frage: Warum eigentlich nicht? Die feststellbare Diskriminierung von Muslimen in Europa wird ja nicht davon entkräftet, dass die AKP ein Interesse daran besitzt, sie zu dokumentieren. Kommt es also wirklich nicht darauf an, was stimmt und was nicht, sondern allein, wer es für sich ausschlachtet? Und gehen solche Nuancierungen in Zeiten der Corona-Krise nicht ohnehin unter?

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06 Apr

Die bedrohliche Effizienz einer Lehnstuhlökonomik. Über die Existenzvergessenheit herrschender Wirtschaftstheorien und das gesellschaftspolitische Potential der Pandemie

Von Manuel Schulz (Jena)


Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz, der in einem Schwerpunkt zur COVID-19 Pandemie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift für Praktische Philosophie (ZfPP) erschienen ist. Der Aufsatz kann auf der Website der ZfPP kostenlos heruntergeladen werden.


Die sich im Frühjahr des Jahres 2020 verbreitende Einsicht, dass es sogenannte ‚systemrelevante‘ Berufsgruppen gibt, die eine existenzielle Aufgabe in unserer Gesellschaft übernehmen, schien ebenso logisch wie überraschend. Logisch, da es bei nur kurzem Nachdenken ganz offensichtlich ist, dass wir abhängig von einem funktionierenden Gesundheitswesen und gefüllten Supermarktregalen sind. Überraschend aber auch, weil sich diese Einsicht derart schnell, sozusagen im Affekt bahn brach, dass sie sich kaum als das Resultat rationaler Erwägungen und vernünftiger Einsicht erklären lässt. Was ist geschehen?

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