05 Mai

Polemisch und beleidigend sind immer die anderen: Zu Daniel Lucas’ Invektiven gegen mich

von Uwe Steinhoff (Hongkong)


Daniel Lucas mag meine Kritik an den Ausführungen Heiner Kochs und Deborah Mühlebachs zur GAP und zur causa Kathleen Stock nicht. Angeblich hätten Koch und Mühlebach sich um eine „Versachlichung“ der Debatte bemüht. Keineswegs. Wie meine Kritik zeigt, ergehen sie sich in einer Reihe von Unterstellungen. Lucas tut es ihnen nach, nun in Bezug auf mich.

So meint er, es stelle „sich die Frage, inwiefern Beiträge als relevanter Teil einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung auftreten, die etwa solche Absätze beinhalten”:

„Wenn der GAP an offener Diskussion gelegen ist, sollte sie Begrifflichkeiten vermeiden, welche sich eher für das einstige Sowjetregime mit seiner ausgeprägten Neigung eignen, Dissidenten als Geistesgestörte in die Psychiatrie zu sperren. Umgekehrt freilich ist die Popularität solcher Begrifflichkeiten im ‚woken‘ linksautoritären Milieu nur die Fortsetzung der eigenen Tradition.“ (Dieses Zitat ist aus meinem Text)

Und er erklärt: “Es hilft wenig zur Versachlichung der Debatte, wenn man seine Gegner*innen in die Nachfolge stalinistischer Vernichtungspolitik setzt.”

Von „Vernichtungspolitik“ hatte ich nicht gesprochen. Das tut Lucas, und dichtet es mir an. Mein Vorwurf war, dass es wenig zur offenen Diskussion beiträgt, wenn man im Sowjetstil Begrifflichkeiten benutzt, welche den Opponenten eine psychische Störung unterstellen. An diesem Vorwurf halte ich fest, derweil Lucas offenbar gern an der von mir kritisierten Praxis festhalten möchte.

Lucas meint zudem:

“Doch auch inhaltlich macht Steinhoff es sich zu einfach. Erkundigt man sich nicht im Duden, sondern in einem wissenschaftlichen Lexikon, danach, was ein Geschlecht sei, so kommt man unschwer zu der Erkenntnis: It’s complicated. Der Psychrembel etwa unterscheidet zwischen somatischem (vier Unterkategorien), psychischem (zwei Unterkategorien), sozialem (zwei Unterkategorien) und juristischem (vier Möglichkeiten) Geschlecht. Und wir lernen: Inkongruenzen zwischen den Geschlechtsmerkmalen sind selten, kommen aber vor.”

Typisch. Wie ich in meinem Text in Bezug auf die Definition von „Frau“ erklärte (für das Geschlecht gilt dasselbe): „Wenn deutsche ‚gender studies‘ Professorinnen danach gefragt werden, sind sie regelmäßig unfähig, eine klare Antwort, also eine klare Definition zu liefern.“ So auch Lucas. Es kommt die übliche Ausflucht: „It’s complicated.” Das Lexikon, auf das er so große Hoffnungen setzt, macht es nicht besser. Dort steht als erster Satz einer vermeintlichen Definition von Geschlecht: „Eigenschaften, die bei zweige­schlecht­lichen Spezi­es ein In­dividu­um als ent­weder männ­lich oder weib­lich kennzeichnen.“ Erstens ist das schlicht falsch, wegen des „entweder-oder“: schließlich gibt es auch zweigeschlechtliche Organismen. Aber selbst wenn wir das beiseitelassen: Die Definition ist völlig wertlos, wenn nicht auch irgendwo definiert wird, was denn nun männlich und weiblich ist. Das wird aber von Lucas Quelle nicht erklärt. (Lediglich das irreführend so genannte „chromosomale weibliche Geschlecht“ und das „chromosomale männliche Geschlecht“ wird charakterisiert, und auch das nur in Bezug auf den Menschen. Was „weiblich“ und „männlich“ bei all den anderen angeblichen „Geschlechtern“ sein soll, geschweige denn beim Geschlecht, Punkt, also ohne modisches Adjektiv, bleibt mysteriös. In einem Artikel, auf den ich in dem Text verlinkt hatte, hatte ich übrigens die Absurditäten und Zirkularitäten dieser wundersamen adjektivischen Geschlechtervermehrung eingehend kritisiert. Wenn sich hier jemand etwas inhaltlich zu einfach macht, dann ist es Lucas.)

Der Duden sei also gelobt, denn der ist diesbezüglich auskunftsfreudiger als Lucas‘ Quelle. Allerdings hatte ich auch auf weitere Texte verlinkt, inklusive zu denen einer Sexualmedizinerin und einer Evolutionsbiologin, und natürlich die biologische Primärliteratur konsultiert. Statt „It’s complicated“ zu sagen, sollten wir im Lichte dieser Fachliteratur lieber die simple Wahrheit konstatieren: „ … bei allen höheren Tieren und Pflanzen gibt es zwei Geschlechter. Beide produzieren Zellen, die nur der Fortpflanzung dienen, und Keimzellen genannt werden. Dabei sind die Eizellen, die schließlich in den Embryo übergehen, groß und unbeweglich, während die kleinen Spermienzellen in oft ungeheuren Überschüssen produziert werden. Die Produzenten der Eizellen werden weiblich, die der Spermien männlich genannt.“ Also sprach die Nobelpreisträgerin Prof. Christiane Nüsslein-Vollhard. Noch Fragen?

Lucas jedoch meint, ich schaffe es mit meiner Definition nicht, das “Phänomen zu erklären”, dem ich mich widme. Irgendeine Erklärung für diese Behauptung liefert er nicht. Eine Sektion später aber schreibt er (und vielleicht soll das implizit eine Erklärung sein):

“Sind trans Frauen nun Frauen (und trans Männer Männer, was Steinhoff offenbar weniger interessiert)? Meinem – zugestanden vollkommen unzureichenden – Blick in die Diskussionsfrage folgend würde ich sagen: Klar, warum auch nicht. So wie auch cis Frauen, die keine Eizellen produzieren, natürlich Frauen sind. Ebenso wie cis Männer, die keine Spermien produzieren können, Männer sind.”

„Unzureichender Blick“ – man könnte es auch anders nennen. Wie dem auch sei, ich möchte doch an den exakten Wortlaut meiner Definition erinnern: “Folglich sind Frauen erwachsene Personen, deren Körper Entwicklungsschritte zur Produktion großer Keimzellen aufweisen.“ Entwicklungsschritte. Sie müssen die Keimzellen also nicht tatsächlich produzieren. Wie ich an anderer Stelle in Bezug auf meine Definition von Geschlecht erkläre: „Die Rede von der ‚Ausrichtung‘ trägt dem Umstand Rechnung, dass aus verschiedenen Gründen (Präpubertät, Menopause, Entwicklungs- oder Funktionsstörungen) nicht jedes Individuum eines Geschlechts auch tatsächlich die entsprechenden Keimzellen produzieren wird – die bloße Ausrichtung auf deren Produktion genügt.“ Sind also sogenannte „Transfrauen“ Frauen? Natürlich nicht. So wie die Köper aller anderen Männer auch, weisen sie nämlich nicht die entsprechenden Entwicklungsschritte hin auf die Produktion großer Keimzellen auf.

Kurz, Lucas bestätigt eindrucksvoll einen zentralen Befund des Textes, den er kritisiert:

„Man hat hier also eine fähige, kompetente Seite, die aus einer klaren Definition und erwiesenen empirischen Fakten eine klare Schlussfolgerung logisch ableitet, und eine Seite, deren ‚Schwierigkeiten‘ [‚It’s complicated‘] aus ihrer eigenen Inkompetenz resultieren, da deren Vertreter weder zu definieren wissen, was ein Geschlecht ist, noch was eine Frau ist.“

Lucas stört es auch, das ich mich gegen den Vorwurf verwahre, die Aussagen Stocks seien „diskriminierend“. Er meint: „Auch hier macht er es sich wieder zu einfach: Eine Handlung oder Aussage kann natürlich noch von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und zugleich diskriminierend sein.“ Erstens hatten Mühlebach und Koch behauptet, Stocks Aussagen seien diskriminierend im Sinne „der deutschen Gesetzgebung“. Ich habe darauf hingewiesen, dass diese Aussage schlicht falsch ist. Zweitens ist es abermals Lucas, der es sich zu leicht macht. Denn natürlich kann umgekehrt auch eine Handlung oder Aussage „diskriminierend“ und nichtsdestotrotz moralisch erlaubt sein. Zudem müssten Mühlebach und Koch, wenn sie schon Diskriminierungsvorwürfe gegen Stock erheben, diese auch belegen können. Das tun sie nicht (Lucas auch nicht). Umgekehrt haben Kathleen Stock und andere (auch meine Wenigkeit) gezeigt, dass „Self-ID“ und das propagandistisch „Selbstbestimmungsgesetz“ genannte Vorhaben sehr wohl Frauen diskriminieren und andere Menschenrechte verletzen, insbesondere Elternrechte, Kindesrechte und das Recht auf Meinungs- und Gewissenfreiheit.

Lucas, der mir verbrämt „plumpe Beleidigung” vorwirft, schließt seinen Text mit den netten Worten:

„Wichtiger ist es vielleicht, bei mangelnder Einsicht in ein Problem, einfach mal die eigenen Gedanken für sich zu behalten. Oder, mit Kant gesprochen: Zumindest aus Pflicht zu handeln. Auch wenn das, um mich einmal abschließend in Steinhoff’scher Polemik zu üben, für alte weiße Männer mit viel Wut und Geltungsdrang oftmals schwer ist.“

Freud würde das wohl Projektion nennen.


Uwe Steinhoff ist Professor am Department of Politics and Public Administration der Universität Hongkong sowie Senior Research Associate im Oxford University Programme on the Changing Character of War. Zuletzt erschien von ihm das Buch „The Ethics of War and the Force of Law – A Modern Just War Theory“.

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