08 Jun

Zufall und System bei Schelling

Titelbild

Von Daniel Unger (München / Freiburg)


Schelling (1775-1854) definiert den Begriff des Zufalls nicht neu; er folgt stets einer bis auf Aristoteles zurückreichenden Tradition. In seiner eigentümlichen Mehrdeutigkeit erkennt Schelling aber ein tieferes Problem, dessen logische und ethische Folgen stets zu früh abgetan wurden: namentlich für die Möglichkeit geschlossener Systeme und ihrer Verhältnisse zueinander, ebenso aber für den Einzelnen in seiner faktischen Existenz. Und es wird bei Schelling ein Problem bleiben – einem Philosophen, der wie kein zweiter Idealist die kritische Frage nach der Möglichkeit eines Gesamtsystems des Wissens immer wieder aufs Neue stellte, und sich trotz intensiver Arbeit und hoher Erwartungen der Öffentlichkeit in den letzten 40 Jahren seines Schaffens nie mehr zu einem definitiven schriftlichen Werk durchringen konnte.

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05 Jun

David Hume und Adam Smith. Zur seltenen Freundschaft zweier genial begabter Menschen

Von Gerhard Streminger (Graz)


Die Freundschaft mit Hume sucht ihresgleichen in der Geschichte der Wissenschaft, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wie auch der Geschichte der Philosophie. Kaum jemals begegneten sich zwei Denker allerersten Ranges derart freundschaftlich auf Augenhöhe, bei aller Konkurrenz und Differenz der theoretischen Ansätze und Anschauungen.

Heinz D. Kurz und Richard Sturn
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02 Jun

Warum man sich mit Max Weber beschäftigen sollte!

Von Hans-Martin Schönherr-Mann (München)


Nicht dass Max Webers Texte so schwierig zu verstehen wären wie diejenigen Hegels. Aber sie zeichnet ein schwerfälliger Stil aus, der die Lektüre mühsam macht, auch wenn diesen Stil gelegentlich ein gewisses Pathos unterbricht. Immerhin sind manche Ausdrücke berühmt geworden wie das ‚stahlharte Gehäuse‘ oder das ‚langsame Bohren von harten Brettern‘.

Wenig verwundert, dass sich dieser Stil teilweise auch auf die Weber-Experten überträgt, die zum 100. Todestag 2020 mit zahlreichen Publikationen aufwarten. Diese bemühen sich zumeist darum, die zum 150. Geburtstag 2014 erschienen Biographien zu relativieren, die sich mit Weber äußerst kritische auseinandersetzen. Warum lohnt es sich trotzdem, sich mit Weber auseinanderzusetzen?

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30 Mai

Self-Tracking for Solidarity? – Neue Solidaritäts-Technologien im digitalen Gesundheitswesen

Von Niklas Ellerich-Groppe (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche betrifft auch Medizin und Gesundheitsversorgung. Dabei steht mit Solidarität zugleich die wesentliche normative Grundlage des deutschen Gesundheitswesens auf dem Prüfstand. Anhand der Debatte um die Nutzung von Self-Tracking-Technologien diskutiere ich die Bedeutung der Digitalisierung für die Solidarität im deutschen Gesundheitswesen – und zeige auf, wie das Self-Tracking im wahrsten Sinne zur Solidaritäts-Technologie werden kann, wenn die Digitalisierung angemessen verstanden und gestaltet wird.

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25 Mai

Demokratie ohne Geländer: Zum 50. Todestag von Hans Kelsen

von Marie-Luisa Frick (Universität Innsbruck)

Vor fünfzig Jahren in den Vereinigten Staaten gestorben, gilt der 1881 in Prag (Österreich-Ungarn) geborene Hans Kelsen als herausragend(st)er Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts. Rechtsphilosophie, Öffentliches Recht und Verfassungstheorie, Demokratietheorie, Völkerrechtstheorie – in all diesen Bereichen hat Kelsen tiefe Spuren gezogen, die nicht nur für die Republik Österreich von besonderer Bedeutung sind, deren Bundesverfassung von ihm maßgeblich geprägt ist, sondern bis heute in globalen Debatten und Forschungsarbeiten nachwirken. Sein Werk spiegelt die politischen Konflikte und Umbrüche des letzten Jahrhunderts und offenbart einen umfassend gebildeten Denker, der mit imposantem Scharfsinn und auch mit für manche irritierender Konsequenz an seinen Idealen festhält und dies mit einer streng-nüchternen, nach allen Seiten hin vertretenen ideologiekritischen Haltung.

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23 Mai

It’s the structure, stupid! – Ein persönlicher Erfahrungsbericht zur Vereinbarkeit von Academia, anderen Arbeitsbereichen und Care-Aufgaben

Dieser Blogbeitrag kann auch als Podcast gehört und heruntergeladen werden:


Von Bettina Bohle


Ich hänge nur noch am Zipfel des Wissenschaftssystems. Eine Vereinbarkeitsfrage stellt sich mir – als Mutter und mit mehreren Leuten in meinem engen Umfeld, die mit psychischen Krankheiten kämpfen – von einer äußeren Warte, die teils so weit weg vom sog. Wissenschaftsbetrieb entfernt ist, dass ich gar nicht mehr recht weiß, ob es überhaupt noch als Perspektive auf Academia zählt. Aber ich habe knapp 20 Jahre dort verbracht, erst 6 als Studentin, dann 6 als Doktorandin und schließlich rund 7 als PostDoc oder „Nachwuchs“-Wissenschaftlerin. Nun bin ich Lehrbeauftragte an zwei verschiedenen Unis, bewerbe mich sporadisch auf Stellen, habe einen festen Job im Kulturmanagement außerhalb der Uni. Und weiß nicht, ob ich noch mal einen Anlauf nehmen soll, mehr in dieses System Uni hineinzukommen. Ob es sich lohnt. Ob es nicht besser so ist.

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18 Mai

Chat GPTs als eine Kulturtechnik betrachtet – eine philosophische Reflexion

Von Sybille Krämer (Leuphana Universität Lüneburg)


Meine Überlegungen wollen beschreiben und ein Stück weit verstehen, was geschieht und was möglich sein wird angesichts von Chatbots (beispielsweise Chat GPTs), die  gegenwärtig Furore machen. Mein Blick ist kulturtechnisch präformiert und philosophisch grundiert.  Es geht mir in diesem Blog nicht darum, diese Version Künstlicher Intelligenz zu kritisieren oder ihre Mängel zu reklamieren, denn das wird vielfach schon getan. Und die Fehler von heute sind die Fortschritte von morgen. Ich möchte vielmehr nachdenken über das, was die Leistungen der Chabots aussagen über die ‚Natur‘ der Sprache, das Kommunizieren und Verstehen, sowie das Mensch/Maschine Verhältnis.  

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16 Mai

Demokratie und Zukunft

von Manfred Brocker (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

I. Die Herausforderungen der Zukunft: Existenzrisiken für die Menschheit

Die Gefahren für das Überleben der Menschheit sind zahlreicher geworden in den letzten Jahrzehnten. Die Fortexistenz der Gattung steht auf dem Spiel. Die gegenwärtige Zivilisation des Anthropozäns (Crutzen 2011) bedroht (a) massiv die Natur und damit ihre eigenen Lebensgrundlagen; aber auch (b) die Natur, so wissen wir heute, bedroht den Fortbestand unserer Spezies.

(a) Zu den anthropogen induzierten Risiken für die Fortexistenz der Menschheit zählt vor allem der Klimawandel (vgl. IPCC 2018). Er hat, so zeigt die zeitgenössische Klimaforschung, mittelfristig Hitzewellen, Stürme und Überflutungen zur Folge: ganze Küstenregionen werden durch den Anstieg des Meeresspiegels unbewohnbar werden. Andere Regionen der Erde werden versteppen. Die menschlichen Grundbedürfnisse werden zunehmend schwerer zu befriedigen sein. Das starke Bevölkerungswachstum beschleunigt diese Entwicklung.

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11 Mai

Von Pilzen und Wissenschaftler*innen. Gedanken zur „Vereinbarkeit“ von Wissenschaft und Leben

Von Tina Jung (Magdeburg)

In seinem 1642 erschienen Werk „De Cive. Über den Bürger“ schreibt Thomas Hobbes über den Naturzustand: „Wir wollen (…) annehmen, daß die Menschen gleichsam wie Schwämme plötzlich aus der Erde hervorgewachsen und erwachsen wären, ohne daß einer dem andern verpflichtet wäre.“ (Hobbes, 2014 [1642], S. 166) Seyla Benhabib hat diese in der westlichen politischen Ideengeschichte einflussreiche Hobbes’sche Vision von Menschen, die wie Pilze aus der Erde ploppen, bereits in den 1980er Jahren als ultimative männliche (und narzisstische) Fiktion von Autonomie entlarvt, die den basalen Umstand menschlicher Abhängigkeit und Angewiesenheit verleugnet. Kritische Auseinandersetzung mit diesem Menschenbild bleibt gleichwohl nötig, und zwar auch mit Blick auf den Wissenschaftsbetrieb. Das vorherrschende Idealbild der wissenschaftlichen Persönlichkeit ist den Hobbes’schen Pilzen nicht unähnlich. Dabei ist der Anspruch auf ein gutes Leben in- und außerhalb der Wissenschaft mehr ist als „nur“ eine Frage der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie.

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09 Mai

Alles kann, nix muss – aber manches sollte doch!

Von Patrick Maisenhölder (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg und Universität Stuttgart)

Wenn man über Digitalisierung und Hochschullehre schreibt, ist eines am Anfang direkt vorwegzunehmen: Weder glaube ich, dass damit das Ende der herkömmlichen Lehre eingeläutet ist, noch fordere ich, dass diese, unter den Bedingungen der Digitalisierung, aufzugeben ist. Die Präsenzlehre mit Diskussionen vor Ort, das Lesen von Texten, das Schreiben von Hausarbeiten etc. – all das wird und soll aus guten Gründen weiterhin Teil der Hochschullehre bleiben, gerade im Fach Philosophie. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Digitalisierung – hier nur unter dem Aspekt betrachtet, was mit der Verbreitung digitaler Medien umgesetzt werden kann – Möglichkeiten bietet, gute Lehre in bestimmter Hinsicht noch besser zu machen.

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