21 Sep

Hegel und die Notwendigkeit des Zufalls

Würfel am Tisch

Von Achim Wamßler (Berlin)


Wer die gemeine Hegelianerin fragt, was das Erste ist, was ihr zum Zufall bei Hegel einfällt, wird wohl in den allermeisten Fällen hören: Hegels Rede von der Notwendigkeit des Zufalls. Doch abgesehen von der Griffigkeit dieser Wendung, mit der Hegel andeutet, dass er ein durchaus guter Twitternutzer gewesen wäre, ist es alles andere als klar, was er damit eigentlich meint. Das Ziel dieses Beitrags ist, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Dafür möchte ich zuerst drei Formen von Zufall definieren, um ein Vorverständnis für das Thema zu gewinnen. Zweitens möchte ich zeigen, dass sich Hegel mit der spezifischen Art des Zufalls, die bei dem Ausdruck »Notwendigkeit des Zufalls« zentral ist, Probleme hinsichtlich Letztbegründungsfragen der Welt einhandelt, die alles andere als einfach zu beantworten sind. Und schließlich werde ich erläutern, wie Hegel diese Probleme aus dem Weg zu schaffen glaubt, womit sich dann auch zeigt, was Hegel meint, wenn er von der Notwendigkeit des Zufalls spricht.

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14 Sep

Rassismus (auch) ohne Race

von Ina Kerner (Universität Koblenz)

Seit ein paar Jahren setzt sich die deutschsprachige Politische Theorie und Philosophie immer öfter kritisch mit dem Rassismus des eigenen Kanons auseinander. Das ist überfällig – und vollzieht eine Entwicklung kritischer Reflexivität nach, mit denen der englischsprachige Wissenschaftsraum bereits seit Beginn des Millenniums aufwartet (u.a. Mills 1997; Babbitt/Campbell 1999; Boxill 2001; Bernasconi 2001; Bernasconi/Cook 2003; Valls 2005; Eigen/Larrimore 2006). Es kommt nicht von ungefähr, sondern gründet im Material, in den explizit rassentheoretischen Arbeiten ebenso wie in den eher beiläufigen rassistischen Überlegungen, die den Kanon durchziehen, dass das neue Interesse an kritischen Rassismusanalysen deutlich fokussiert ist. Es geht primär um „Rasse“ oder Race – um theoretische Operationen zum Zweck der kategorialen Unterscheidung und Hierarchisierung verschiedener Großgruppen von Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise auf körperliche Merkmale wie die Hautfarbe beziehen und diese Merkmale ursächlich mit vermeintlichen je gruppenspezifischen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften assoziieren. Man analysiert den Niederschlag, aber auch explizite Ausarbeitungen derart rassialisierter und rassialisierender Denk- und Wissensformen im politiktheoretischen und philosophischen Kanon und diskutiert die wichtige Frage, was das alles für künftige Bezugnahmen auf die dabei ins Zentrum des analytischen Interesses gerückten Texte und Autor:innen heißt.

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12 Sep

Kann Europas KI Gesetz eine lebenswerte Zukunft bewahren?

von Mario Günther (München) und William D’Alessandro (Oxford/San Francisco)

Das Europäische Parlament übernahm letzte Woche seine Verhandlungsposition zum Gesetz der Künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence Act). Das Gesetz wird die ambitionierteste Regulierung der Künstlichen Intelligenz (KI) in der westlichen Welt, sobald es verfeinert und, wie erwartet, vom Europäischen Rat gegen Jahresende bestätigt wird. Die Europäische Union (EU) war gut beraten früh Maßnahmen zu den transformativen Technologien zu ergreifen. Aber es ist zu früh das KI-Gesetz zu einem Erfolg zu erklären: angesichts entgegenwirkender ökonomischer Anreize und sich abzeichnenden Durchsetzungsherausforderungen muss die EU hart bleiben und die entscheidenden Sicherheitsvorkehrungen des KI-Gesetzes aufrechterhalten.

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07 Sep

Neuer Wein in alten Schläuchen?! Philosophische Rassismuskritik zwischen Akademisierung und Katalyse

von Peggy H. Breitenstein (Jena)

Bei Betrachtung der jüngsten deutschsprachigen Debatten um das rassistische und kolonialistische Erbe der Philosophie zeigen sich aufschlussreiche Tendenzen. Einige von ihnen erinnern an vergangene Zeiten, in denen dieses Thema auch bereits kürzere Konjunkturen erlebte, bevor es dann wieder erfolgreich verdrängt oder vergessen wurde. Doch diesmal scheinen sich auch Entwicklungen anzubahnen, die wirklich neuartig sind, und manche könnten Gärstoff enthalten, der alte Schläuche zum Bersten bringt.

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05 Sep

Wissenschaft und Elternzeit. Wunsch und Wirklichkeit

Von Elke Elisabeth Schmidt (Siegen)


Nachwuchswissenschaftler*innen mit Kindern sind immer im Spagat zwischen Job und Familie. Viele Spannungen sind bekannt: ein hohes Arbeitspensum, geforderte zeit- und räumliche Flexibilität sowie Befristung auf der einen Seite und Kinder und all das auf der anderen. Weniger bekannt ist: Mutterschutz und Elternzeit könnten den Spannungen zwar eigentlich Abhilfe schaffen, scheitern aber an der akademischen Lebenswirklichkeit.

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31 Aug

Armut überkreuz? Rassismus, Sexismus, Klassismus im Kapitalismus[1]

Von Brigitte Bargetz (Kiel/Wien) und Jana Günther (Darmstadt)

Seit der Coronakrise stiegen nicht nur die Vermögen elitärer Bevölkerungsteile, sondern auch die Armutsrisiken weltweit. Gerade während Krisen zeigt sich immer wieder, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders vulnerabel sind. Dazu gehören insbesondere Menschen in unteren Einkommensklassen, Migrant*innen, People of Colour sowie Frauen.

Armut und Ausbeutung

Armutslagen und -risiken haben verschiedene Ausprägungen. Armut steht heute vornehmlich mit der weltweiten Durchdringung kapitalistischer Produktions- und Lebensweisen nach der Auflösung des Sowjetblocks sowie mit (post-)kolonialer Ausbeutung im Globalen Süden und indigener Bevölkerungsgruppen in Zusammenhang. Kapitalismus als „Gesellschaftsform“, so formulierte es Nancy Fraser vor einiger Zeit pointiert, ‚verschlingt‘ „routinemäßig die Grundlagen der eigenen Existenz“.[2]

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24 Aug

Antiziganismus – (K)Ein Thema für die Philosophie?

Laura Soréna Tittel (Justus-Liebig-Universität Gießen)

Die Verstrickung der Philosophie in den Rassismus wurde in den letzten Jahren heiß diskutiert. Von Antiziganismus war dabei jedoch kaum die Rede. Vielmehr wurde dem klassischen philosophischen Kanon vorgeworfen, Rechtfertigungen für den Kolonialismus und für rassistisch bestimmte Hierarchien hervorgebracht zu haben. Doch wie verändert sich der Blick, wenn man in den philosophischen Schriften nicht nur nach rassistischen Denkmustern sucht, sondern explizit nach antiziganistischen? Ist die Philosophie auch in den Antiziganismus verstrickt oder kann sie etwa helfen, ihn besser zu verstehen?

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23 Aug

Vereinbarkeit und akademische Doppelkarrieren – Teil 2: Doppelangebote

von David Löwenstein (Düsseldorf)


In einem ersten Beitrag habe ich die spezifischen Vereinbarkeitsprobleme akademischer Doppelkarrierepaaren skizziert. Wie lassen sie sich lösen? Auch hier ist zunächst auf den Good Practice Guide der Society for Women in Philosophy zu verweisen, der dazu viele gute Vorschläge enthält. Und wie bei den Problemen, gilt auch für die Lösungsideen: Akademische Doppelkarrierepaare sind doppelt betroffen.

In der Praxis besteht der häufigste Ausweg aus den geschilderten Vereinbarkeitsproblemen jedoch darin, dass mindestens ein Elternteil aussteigt und sich beruflich neu orientiert. Das ist aber natürlich weder im Sinne exzellenter Forschung und Lehre noch im Sinne von Vereinbarkeit und gleichberechtigten Beziehungsmodellen.

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16 Aug

Vereinbarkeit und akademische Doppelkarrieren – Teil 1: Probleme

David Löwenstein (Düsseldorf)


Das Problem der Vereinbarkeit von akademischer und Sorgearbeit hat viele Gesichter. Manche Faktoren betreffen alle oder viele ähnlich, andere nicht. Dies ist der erste von zwei Beiträgen, die eine spezifische Konstellation in diesem Feld behandeln: akademische Doppelkarrieren. Gemeint sind also Paare, bei denen beide Beteiligte eine akademische Karriere verfolgen, und die gleichzeitig gemeinsam Sorgearbeit leisten, etwa für eigene Kinder.

Ich beginne mit drei Vorbemerkung zur Einordnung des Themas. Danach beschreibe ich die spezifische Vereinbarkeitsproblematik akademischer Doppelkarrierepaare und benenne dort drei zentrale Problembereiche. In einem Folgebeitrag geht es dann um Lösungen und Auswege – vom Üblichen, dem Ausstieg, bis zum Traum des gemeinsamen Ankommens an einem Ort.

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08 Aug

Pluralismus und Politikrelevanz: Smiths Kritik des Merkantilsystems

Von Richard Sturn (Graz)  


Die Pluralität der Einflüsse auf Smiths Denken ist weithin anerkannt. Und die Vielzahl und Vielfalt der Schulen und Richtungen, die sich auf bestimmte Smithsche Argumentationen berufen, ist nicht zu übersehen. Weniger bekannt ist sein eigener theoretischer Pluralismus. Gemeint ist seine nur gelegentlich angedeutete Strategie, für die Diskussion wichtiger Fragen von übergeordnetem Interesse eine Pluralität von Modellen und Theorien zu Rate zu ziehen.

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